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Insel der Schatten

Insel der Schatten

Titel: Insel der Schatten
Autoren: Wendy Webb
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sind sie noch immer hier, haben Will angegriffen und ihn die Treppe hinuntergestoßen. Ich gedenke aber den Rest meines Lebens in diesem Haus zu verbringen. Es ist das Vermächtnis meiner Familie. Und ich kann Ihnen gar nicht genug dafür danken, dass Sie mir die Geschichten meiner Vorfahren erzählt haben! Aber im Moment muss ich noch eines wissen: Wie werde ich die Drillinge los?«
    Die alte Haushälterin lächelte matt. »Sie sind Kinder, Halcyon, und noch dazu Geisterkinder! Sie dagegen sind eine lebendige, erwachsene Frau und als solche wesentlich mächtiger als sie. Und Sie wissen jetzt, wie Sie Ihre Gabe einsetzen können. Sie müssen ihnen nur sagen, was sie zu tun haben.«
    »Und was wäre das genau?«
    »Sie müssen ihnen klarmachen, dass sie dieses Haus zu verlassen haben«, erwiderte Iris. »Sie waren viel zu lange an das irdische Leben gebunden, dazu verdammt, in diesem Haus zu bleiben, wo sie über Generationen hinweg gemordet und Unheil gestiftet haben. Ohne ihre Mutter und ihren Vater sind sie verwirrt und verloren. Jeden neuen Menschen, der in das Haus kam, haben sie als Eindringling betrachtet, als Fremden, den sie fürchten mussten. Jane, Charles, Amelia und ihre ungeborenen Kinder. Und Julie Sutton. Und jetzt haben sie Ihren Will ins Visier genommen. Sie müssen ihnen begreiflich machen, dass ihre Ahnen auf sie warten, Halcyon, sonst wird Ihr Freund auch weiterhin in Gefahr schweben. Den Mädchen ist nicht bewusst, dass sie tot sind, verstehen Sie? Es ist Zeit, dass sie dorthin gehen, wohin sie gehören.«
    »Na, ganz so einfach wird es wohl nicht gehen«, antwortete ich wenig überzeugt.
    Und dann geschah etwas Unerwartetes. Iris schlang die Arme um meine Schultern, streifte mit ihrer papierdünnen Wange die meine und presste einen Kuss darauf.
    »Ich habe getan, was ich konnte, Halcyon. Ich habe die Geschichte Ihrer Familie in meinem Herzen bewahrt, bis Sie nach Hause gekommen sind. Ich habe Ihnen die Gesichter Ihrer Vorfahren gezeigt und Ihnen geholfen, Ihre Gabe zu entfalten. Und Sie haben recht, Kind, Sie gehören in dieses Haus! Drei kleine Mädchen, auch wenn sie noch so mordlustig sind, können Ihnen dieses Recht nicht absprechen.«
    In diesem Moment überkam mich das eigenartige Gefühl, die alte Haushälterin habe uns irgendwie über die Grenzen von Zeit und Raum hinausgeführt. Als ich mich endlich von ihr löste, reichte mir der Schnee schon bis zu den Waden. Wie lange hatte ich, in Iris’ Umarmung gefangen, hier gestanden?
    Ich fuhr herum und sah mich einer Wand aus gleißendem Weiß gegenüber. Kein Haus war mehr zu sehen, keine Bäume, kein Garten, keine Iris. Alles war in dem Schneesturm verschwunden, der unvermutet über mich hereingebrochen war.

31
    Warum hatte ich nicht bemerkt, dass es zu schneien begonnen hatte? Ich konnte das Haus nicht mehr erkennen und hatte keine Ahnung, welche Richtung ich einschlagen musste. In genau so einem Sturm waren Hannahs Töchter damals umgekommen. Bei dem Gedanken stieg Übelkeit in mir auf, aber ich wusste, dass ich jetzt einen kühlen Kopf bewahren musste, wenn ich Iris und mich sicher wieder ins Warme bringen wollte.
    »Iris!«, rief ich, blindlings im Schnee nach ihr tastend. »Iris!« Aber ich erhielt keine Antwort. Ich beugte mich zu der steinernen Bank hinunter. Vielleicht hatte sie sich einfach nur wieder hingesetzt? Aber dort war sie nicht. Sie musste in den Sturm hinausgegangen sein.
    Das Letzte, worauf ich Lust hatte, war, mich in diesem Schneegestöber auf die Suche nach einer alten Frau zu begeben. Ich wollte nur noch in mein warmes Haus zurück! Aber natürlich durfte ich sie keinesfalls einfach ihrem Schicksal überlassen. Also setzte ich, langsam und immer langsamer, einen Fuß vor den anderen, rief dabei ihren Namen und rieb mir immer wieder die Arme. Das hätte mir noch gefehlt – hier draußen jämmerlich zu erfrieren … Dann wäre ich selbst ein Teil von Iris’ seltsamer Familiensaga. Aber wem würde sie diese dann noch erzählen können? Der letzte Hill – ich – wäre dann nicht mehr am Leben …
    Und dann hörte ich in einiger Entfernung ein schwaches Rufen.
    »Hallie! Hallie! Wo bist du?«
    Will! Plötzlich fiel mir wieder ein, dass ich ihm am Morgen versprochen hatte, mich mit ihm auf der Klippe zu einem Picknick zu treffen. Er hatte doch wohl nicht geglaubt, dass ich sogar bei diesem Wetter … Aber da war es erneut.
    »Hallie! Hallie!«
    »Ich bin hier drüben!«, schrie ich. »Im Garten!«
    »Hallie?«
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