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Insel der Schatten

Insel der Schatten

Titel: Insel der Schatten
Autoren: Wendy Webb
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Jonah, war anfangs ziemlich wütend auf mich. Aber dann hat er eingesehen, dass ich ebenso ein Opfer war wie er.«
    Mir kam ein schmerzlicher Gedanke. »Mira«, begann ich vorsichtig. »Wusste mein Dad denn von der Schwangerschaft, als er mit mir von hier fortging? Hat er dich im Stich gelassen, obwohl er wusste, dass du ein Kind von ihm erwartest?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Das wusste ich damals selbst noch nicht. Aber hätte ich es gewusst, hätte ich es ihm gesagt, da kannst du sicher sein! Ich habe deinen Dad geliebt, Hallie. Ich wollte den Rest meines Lebens mit ihm verbringen.«
    In meinem Kopf drehte sich alles. Das also hatte Jonah mir sagen wollen. Ich dachte an unseren Abend in der Weinbar zurück, und jetzt begriff ich auch, warum er mich so über meine Jugendjahre ausgefragt hatte. Er hatte etwas über das Leben, das seins hätte sein können, und den Mann, der sein Vater war, erfahren wollen.
    Ich sah Mira an. In mir kämpften Verwirrung, Kummer und Bedauern miteinander. »Was für eine Kette unglücklicher Verwicklungen«, seufzte ich schließlich.
    Sie lächelte matt. »Hast du vielleicht etwas zu trinken da? Etwas Stärkeres als Tee, meine ich.«
    Und so öffneten wir eine Flasche Wein und sprachen über das, was war und das, was hätte sein können. Wir sahen beide ein, dass niemand, weder meine Mutter noch mein Vater noch Mira noch ich und schon gar nicht Jonah irgendeine Schuld an der Entwicklung der Ereignisse traf. Abgesehen von der Affäre hatte jeder bloß in bester Absicht gehandelt, aber alles war anders gekommen als geplant. Als Folge meiner Familiengeschichte war unser aller Leben in einen reißenden Strudel gezogen worden, und nun, dreißig Jahre, mehrere Todesfälle und mehr als nur ein paar gespenstische Vorfälle später, hatte sich der Kreis geschlossen, und wir standen wieder da, wo alles begonnen hatte.
    Zu Miras großer Erleichterung hatte Jonah vorerst noch nicht die Absicht, auf Grand Manitou bekannt zu geben, wer sein Vater war. Und ich ebenfalls nicht. Dieses Geheimnis würden wir beide noch eine Weile für uns behalten. Aber die Tatsache, dass wir Halbgeschwister waren, blieb natürlich nicht ohne Wirkung auf uns. Wir trafen uns häufig und wurden gute Freunde. Und nachdem ich aufgehört hatte, jeden Tag über meine Ahnen mütterlicherseits nachzugrübeln, beschlossen wir auch, uns gemeinsam auf dem Festland auf die Suche nach der Familie meines Vaters zu machen. Andere Geschichten über unsere Vorfahren warteten bestimmt schon darauf, erzählt, gesehen und gehört zu werden.
    Kurz darauf traf ich eines Nachtmittags die Suttons im Städtchen. Ich zögerte kurz, ging dann auf sie zu und informierte sie darüber, dass ich zur Polizei gegangen war und Einsicht in die Akten des Mordfalls ihrer Tochter verlangt hatte.
    »Ich wollte herausfinden, welche Beweise nun genau gegen meinen Vater vorlagen, und mir ist jetzt klar, dass er unweigerlich in Verdacht geraten musste, ihre Tochter umgebracht zu haben«, sagte ich zu Julies Eltern. »Trotzdem glaube ich nicht, dass mein Vater ihr absichtlich etwas zuleide getan hat. Leider kann ich Ihnen aber auch nicht genau sagen, was an jenem Tag passiert ist, doch glauben Sie mir, ich hätte genauso gern Gewissheit wie Sie.«
    Sie akzeptierten meine Erklärung – was hätten sie auch anderes tun sollen? –, und unsere Wege trennten sich wieder. Aber ich nehme an, es sprach sich rasch herum, dass ich versucht hatte, den Fall erneut aufzurollen und der Wahrheit auf den Grund zu gehen, denn nicht lange nach meinem Gespräch mit den Suttons bemerkte ich, dass sich das Verhalten der Inselbewohner mir gegenüber zu ändern begann.
    Die Leute hörten auf, mich anzustarren und hinter meinem Rücken zu tuscheln, und mit der Zeit wurde ich zu einer Art verlorenen Tochter, einer der ihren, die die Insel einst verlassen hatte und nun wieder zurückgekehrt war. Einen großen Teil dieser nun offen zur Schau getragenen Akzeptanz hatte ich wohl auch einer Entscheidung zu verdanken, die ich vor einigen Tagen getroffen hatte. Ich wusste jetzt, welcher Tätigkeit ich während der Touristensaison nachgehen würde.
    An einem schneereichen Nachmittag hatte ich, während Will bei der Arbeit war, der Kunstgalerie meiner Mutter unten in der Stadt einen Besuch abgestattet. Seit ihrem Tod war das Geschäft nicht mehr geöffnet worden, aber laut Will und Jonah zählte es während der Sommermonate zu den beliebtesten und florierendsten Läden der Insel. Dort wurden
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