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Insel der Schatten

Insel der Schatten

Titel: Insel der Schatten
Autoren: Wendy Webb
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Mira. Sie hatte vorgehabt, am Abend des Sturms vorbeizukommen, um mir zu helfen, die Drillinge aus dem Haus zu vertreiben – ›Phase Zwei‹, wie sie es genannt hatte –, aber das Wetter hatte ihren Plan vereitelt. Also traf sie ein paar Tage später, als die Straßen wieder passierbar waren, bei mir ein.
    »Danke für dein Angebot, aber ich denke, ich werde versuchen, die Mädchen selbst zu verscheuchen«, teilte ich ihr mit, kaum dass sie ihren Mantel ausgezogen hatte.
    »Ganz alleine? Hältst du das für klug?«
    »Ich bin mir nicht sicher«, gab ich zu. »Und ich brauche vielleicht doch noch deine Hilfe. Aber so wie die Dinge jetzt liegen, sind die Mädchen nicht die einzigen Dämonen aus der Vergangenheit. Es müssen noch ganz andere Geister ausgetrieben werden.«
    Mira zog die Brauen zusammen und blinzelte mich an. »Ich weiß nicht, was du meinst, Hallie.«
    Und da konfrontierte ich sie mit dem, was mir meine Visionen enthüllt hatten.
    Sie versuchte zunächst, alles abzustreiten, wand sich wie ein Aal und tat so, als würde ich ihr Unrecht tun – wie konnte ich solchen ungeheuerlichen Gerüchten nur Glauben schenken?! –, aber ich blieb hart, und schließlich brach sie unter der Last der Wahrheit zusammen.
    »Es tut mir leid«, sagte sie, nachdem sie sich einen Stuhl an den Küchentisch herangezogen hatte und schwer darauf niedergesunken war. »Ich habe jahrelang nach dir und deinem Vater gesucht! Der Mann, der ihm damals neue Papiere und eine neue Identität verschafft hat, ist seltsamerweise um dieselbe Zeit herum verschwunden, also konnte ich weder euren Aufenthaltsort noch euren neuen Namen ausfindig machen. Es war unmöglich, euch aufzuspüren, und später begriff ich dann, dass Noah das auch gar nicht gewollt hatte.
    Es stimmt, ich habe es ihm sehr übel genommen, dass er mich so einfach sitzen gelassen hat. Ich habe ihm all diese Jahre deswegen gegrollt. Aber damals habe ich ihm wirklich helfen wollen! Er wollte dich unbedingt von hier fortbringen.«
    »Warum hast du mir das alles verschwiegen?«
    Sie verzog das Gesicht. »Ich lege keinen besonders großen Wert darauf, dass irgendjemand davon erfährt, weißt du? Ich kenne mich mit Verjährungsfristen nicht aus. Vielleicht kann ich noch immer wegen Beihilfe zum Mord angeklagt werden.«
    Seltsamerweise tat mir Mira plötzlich leid. Sie wirkte so in ihr Schicksal ergeben, dass ich sie nicht wirklich hassen konnte. Und sie hatte recht: Ungeachtet ihrer eigennützigen Motive hatte sie versucht, meinem Vater zu helfen und auch mir dadurch höchstwahrscheinlich das Leben gerettet. In diesem Moment verzieh ich ihr.
    »Aber was ist mit dem Kind, Mira? Hast du tatsächlich ein Baby von meinem Vater bekommen?«
    Mira wurde schneeweiß. »Wer hat dir das erzählt?«
    »Das ist doch jetzt egal!«, entgegnete ich. »Ich will nur wissen, ob es stimmt. Keine Lügen mehr, Mira! Mein ganzes Leben basiert auf Lügen. Jetzt will ich ein für alle Mal die Wahrheit wissen!«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe dieses Geheimnis dreißig Jahre lang gehütet, Hallie. Niemand auf der Insel weiß, wer sein Vater ist.«
    »Sein? Du hast also einen Sohn?«
    Mira sah mich an und lächelte. »Ich dachte, das wüsstest du. Jeder hier kennt ihn. Er betreibt ein kleines Café.«
    Ich saß einen Moment lang mit offenem Mund da. Endlich krächzte ich: »Jonah? Machst du Witze? Jonah ist dein Sohn? Der Sohn meines Vaters?«
    Mira nickte bestätigend.
    Ich konnte es kaum glauben. Meine Gedanken überschlugen sich. Jonah war mein Halbbruder? Das würde erklären, warum er mir gleich so vertraut vorgekommen war. Natürlich, er war meinem Dad in vieler Hinsicht sehr ähnlich.
    »Seit einiger Zeit weiß er über seinen Vater Bescheid«, erzählte Mira. »Er hat in den letzten Wochen ähnliches durchgemacht wie du. All diese Jahre lang hielt er seinen Vater für tot – so hatte ich es ihm gegenüber dargestellt –, und dann muss er auf einmal herausfinden, dass dieser bis kurz vor deiner Ankunft auf der Insel am Leben war und in der Nähe von Seattle gewohnt hat. Ihm ist es genauso ergangen wie dir, als du die Wahrheit über deine Mutter erfahren hast.«
    »Nicht ganz«, widersprach ich. »Er konnte sich an dich wenden, um Antworten auf seine Fragen zu bekommen.«
    »Das hat er auch getan, und ich habe ihm nichts verschwiegen. Ich habe jahrelang nach deinem und seinem Vater gesucht, habe alles darangesetzt, ihn zu finden. Aber er schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Sicher,
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