Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Insel der Schatten

Insel der Schatten

Titel: Insel der Schatten
Autoren: Wendy Webb
Vom Netzwerk:
die Nägel ins Gesicht, biss und zerfetzte sein Hemd, bis er gegen die Wand neben dem offen stehenden Fenster gedrückt wurde.
    Ich bekam keine Luft mehr. Und dann bemerkte ich, dass Persephone, während ich mich gegen Patience und mein Vater sich gegen Penelope zur Wehr setzte, in der allgemeinen Verwirrung ihre Chance beim Schopf ergriff, und Julie aus dem Fenster stieß. Just in diesem Moment rannte ich zum Fenster und sah sie fallen. Ihr Blick kreuzte sich mit dem meinen, während meine Freundin in die Tiefe stürzte, und ihre Lippen formten meinen Namen. Das Letzte, was ich sah, war ihr vor Entsetzen verzerrtes Gesicht, als ihr Schädel mit einem furchtbaren Krachen auf dem Boden aufschlug.
    Mein Vater bekam nicht genau mit, was geschah. Er spähte aus dem Fenster und sah die reglose Julie Sutton dort unten liegen, dann registrierte er, dass ich mich aus dem Fenster lehnte und ihren Leichnam anstarrte.
    »O Gott«, wurde mir nun jetzt und heute klar, »er dachte, ich hätte es getan!«
    Noah jagte durch das Haus, die Treppe hinunter und nach draußen und machte erst Halt, als er Julie erreicht hatte. Ich verfolgte vom Fenster aus, wie er versuchte, sie wiederzubeleben, aber seine Bemühungen blieben erfolglos. Sie war tot. Also rief er erst die Polizei und dann die Suttons an.
    »Es waren die Mädchen«, flüsterte ich benommen. »Sie haben Julie umgebracht. Aber mein Vater dachte, ich wäre es gewesen. Darum haben wir die Insel verlassen müssen.«
    Doch die Vision ging noch weiter. Meine Mutter war an jenem Tag nicht da, als all dies geschah, also bat mein Vater Mira, an diesem Abend zu unserem Haus zu kommen. Als sie auftauchte, erzählte er ihr alles, was im Laufe des Tages passiert war. Zu diesem Zeitpunkt wusste natürlich schon die ganze Insel, dass es in unserem Haus einen Todesfall gegeben hatte.
    »Ich werde die Schuld auf mich nehmen, Mira«, hörte ich meinen Vater sagen. »Auf Hallie darf nicht der Schatten eines Verdachts fallen.«
    Mira schüttelte bedächtig den Kopf. »Deine Tochter schwebt in großer Gefahr«, erwiderte sie. »Ich spüre das ganz deutlich. Die Sache ist noch lange nicht ausgestanden. Du musst sie von hier fortbringen. Wenn du im Gefängnis sitzt, wer soll sich dann um sie kümmern? Deine Frau etwa? Dann müsstest du vorher ihre Kamera verbrennen.«
    Noah sank niedergeschlagen auf einen Stuhl.
    »Hör zu«, redete Mira weiter leise und verschwörerisch auf ihn ein. »Ich kenne einen Mann auf dem Festland, der euch beiden eine neue Identität verschaffen kann. Wir könnten zusammen fortgehen, irgendwo ein neues Leben beginnen und so tun, als wäre all das nie geschehen.«
    Ich barg den Kopf in den Händen, weil ein leises Pochen eine einsetzende Migräne ankündigte. Oder spürte ich den Schmerz, der im Kopf meines Vaters tobte? Ich las es in seinen Augen: Er hatte nicht die Absicht, Mira mitzunehmen. Sie war lediglich sein Mittel zur Flucht.
    »Ich habe Madlyn wieder und wieder klarzumachen versucht, dass hier irgendetwas nicht stimmt«, murmelte er. »Hallie ist in Gefahr, das habe ich nie so deutlich erkannt wie heute. Aber Maddie will es sich nicht eingestehen! Sie sagt immer, dass sie schließlich auch in diesem Haus aufgewachsen und ihr nie etwas geschehen ist.«
    Der besagte Mann auf dem Festland arrangierte letztendlich tatsächlich alles für Noah, verschaffte ihm einen neuen Führerschein, eine Geburtsurkunde, ein Collegediplom – alles, was er brauchte. Und dann wartete mein Vater auf den richtigen Zeitpunkt.
    Inzwischen konzentrierten sich die polizeilichen Ermittlungen vornehmlich auf seine Person. Jeder auf der Insel war bestürzt über Julie Suttons Tod, für den der allgemeinen Meinung nach nur einer verantwortlich sein konnte: Noah Crane. Und er tat nichts, um den Verdacht, er könne das arme Mädchen auf dem Gewissen haben, zu entkräften. Ihm ging es nur darum, mich zu schützen.
    Ich sah, wie mein Vater und Mira einen Fluchtplan ausheckten. Sie sollte an einem vereinbarten Ort unseren vermeintlich umgekippten Kajak finden, sodass jeder denken würde, wir wären ertrunken. Noah würde sie später nachkommen lassen, wenn wir irgendwo untergetaucht wären.
    Trotzdem fragte er sich, während er abwartete, ob er wirklich das Richtige tat. Auf diese Frage erhielt er an dem Tag eine Antwort, an dem ihm Madlyn das letzte Foto zeigte, das sie von mir gemacht hatte – das auf der Schaukel. Noah hörte klar und deutlich, wie seine inzwischen verstummte Tochter ihm
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher