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Ins Nordlicht blicken

Ins Nordlicht blicken

Titel: Ins Nordlicht blicken
Autoren: Cornelia Franz
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Deutschland besser mit der Schule zurechtgekommen? Wahrscheinlich nicht, denke ich mal. Schließlich war mein Vater auch nicht gerade der Typ, der stolz auf seinen Verstand sein konnte. Und meine Mutter ... keine Ahnung, wie gut die in der Schule gewesen war. Woher sollte ich das wissen?
    Egal. Das beste Examen nützt dir nichts, wenn du keinen Schimmer hast, was du mit deinem Leben machen sollst. Es gab nur eins, was definitiv klar war: Grönlands erster Honigproduzent würde ich bestimmt nicht werden. Ich aß das klebrige Zeug ja nicht mal gerne.
    schon wieder ein pasch. glückspilz
    kann man mit backgammon geld verdienen?
    brauchst du geld?
    wer nicht?
    bekommst du nicht genug taschengeld?
    geht dich nichts an
    Ich würfelte und stand auf, um mir aus der Küche noch ein Bier zu holen. Ich hatte zwar ein schlechtes Examen gemacht, aber ich war nicht blöd. Schon seit Tagen versuchte der gute Spider, was aus mir rauszukitzeln. Immer wieder mal streute er Fragen nach meinem Zuhause ein, wollte wissen, wer ich war, wie alt, ob männlich oder weiblich, wo ich wohnte und all das. Bisher hatte ich alles abgeblockt und war auf keine seiner Bemerkungen eingestiegen.
    Ich war mir ziemlich sicher, dass Spider ein ganzes Stück älter war als ich. Wie gesagt, ich kannte niemanden in meinem Alter, der Backgammon spielte. Ich kannte überhaupt niemanden, der das spielte. Auch mein Vater ballerte nur Alien Attack am PC oder haute sein Geld beim Pokern raus mit den Typen, die er seine Freunde nannte.
    In Deutschland war es jetzt drei Uhr morgens. Wahrscheinlich war Spider ein einsamer alter Knacker, der keine Arbeit hatte, wegen der er am nächsten Morgen aufstehen musste. Vielleicht so ein verklemmter Freak, der auf Jungs stand, die ihm nicht wirklich gefährlich werden konnten.
    Ich hörte, wie die Haustür aufging, und drückte auf Log-out. Ich hatte die letzten drei Spiele gewonnen, einguter Zeitpunkt, um aufzuhören. Außerdem hatte ich keine Lust, von meinem Vater beim Backgammon erwischt zu werden. Es war mir unangenehm. So als würde er mich beim Wichsen stören.
    Als er in der Tür stand, fuhr ich gerade den PC runter. Er grinste mich an, die Wangen von der Kälte und dem Wodka gerötet.
    »Hey, Pakku. Noch auf?«
    »Ja, aber nicht mehr lange. Ich gehe ins Bett.«
    »Warst du bei Aqqaluk?«
    »Nur kurz.«
    Einen Moment lang schien er zu überlegen, ob es noch etwas gab, was er fragen sollte. Er hielt sich mit der rechten Hand am Türpfosten fest, fuhr sich mit der linken durch die blonden Haare und starrte mich aus seinen babyblauen Augen an. Dann schüttelte er den Kopf, als müsse er Wasser aus den Ohren kriegen.
    »Hör mal, Pakku. Weißt du, was Peer erzählt hat?«, sagte er. Seine Stimme hatte diesen eindringlichen Tonfall angenommen, der auf einen ziemlich hohen Spritpegel deutete. »Peer hat gesagt, dass es in zehn Jahren im Sommer kein Eis mehr geben wird.«
    »Wieso? Macht Frisco pleite?«
    Frisco ist das dänische Langnese. Als Kind hatte ich mich komischerweise darüber aufgeregt, dass die hier einfach einen anderen Namen für das gleiche Eis benutzten. Ich wollte, dass alles so war wie zu Hause. So wie in Deutschland.
    Mein Vater überhörte mein Witzchen und redete weiter. »Das ist der Klimawandel, Pakku. Jedes Jahr wird eswärmer, immer mehr Eis schmilzt und immer schneller, als man gedacht hat. Das hast du wohl auch schon gehört.«
    »Und?«
    »In Südgrönland ist es jetzt schon wie in den Alpen. Kapierst du?«
    »Nee.«
    »Mann, Pakku! Die Bienen ... hier wird es immer wärmer. Immer grüner. Grünland, kapierst du? Wenn wir die Ersten sind, die Honig machen können, haben wir die Nase vorn. Ich sag’s dir, das wird ein Superhonig. So wie der von deiner Großmutter.«
    Ich rollte mit den Augen. Doch mein Vater ließ sich nicht im Geringsten irritieren. Er bedachte mich mit einem Lächeln, das er für geheimnisvoll hielt. »Frische Brötchen mit Honig. Oder selbst gemachtem Apfelgelee ... Weißt du noch, Pakku?«
    Natürlich wusste ich. Meine Kindheitserinnerungen waren nicht viel anders als seine. Ich hatte in seinem Kinderzimmer geschlafen, in seiner löcherigen Micky-Maus-Bettwäsche, ich hatte mit seiner Carrerabahn gespielt und war in seiner alten Lederhose auf den Apfelbaum geklettert. Ich war auf seine Grundschule gegangen, hatte im selben Klassenzimmer gesessen und hatte sogar seine ehemalige Klassenlehrerin gehabt, Frau Mirow, die kurz vor der Pensionierung stand. Seine Mutter war auch meine
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