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Dunkel ist die Zukunft

Dunkel ist die Zukunft

Titel: Dunkel ist die Zukunft
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Kapitel 1

    Schmerz weckte sie. Es gelang ihr nicht, ihn genau zu lokalisieren; eine Milliarde kleiner, kribbelnder Tierchen mit spitzen Zähnen lief durch ihren Körper, kroch durch ihre Adern, fraß sich an ihren Nervenbahnen entlang. Dann ein einzelner Gedanke, scheinbar sinnlos: Es wird weh tun. Sehr weh. Irgend jemand hatte das einmal zu ihr gesagt, irgendwann und irgendwo, eine Million Lichtjahre in der Vergangenheit. Wann und wo und wer genau, das hatte sie vergessen. Vielleicht hatte sie es nie gewußt. Dann eine neue Erinnerung: ein schmales Gesicht mit Augen voller Angst und Wahnsinn, ein ... Gewehr, das auf sie gerichtet und - ja, und auch abgedrückt worden war. Gut, dachte sie. Ihre Erinnerungen kamen zurück. Noch ergaben sie keinen Sinn, und noch vermochte sie nicht zwischen echten Erinnerungen und dem zu unterscheiden, was ihr aus dem endlos langen Alptraum gefolgt sein mochte, der hinter ihr lag. Aber allein, daß sie diesen Gedanken denken konnte, bewies, daß sich die grauen Spinnweben in ihrem Kopf aufzulösen begannen.
    Es wird lange dauern. Vielleicht Tage. Sie versuchte sich zu bewegen. Es ging nicht. Nun, sie hatte Zeit. Und vielleicht war es ohnehin klüger, zuerst in ihrem Kopf für Ordnung zu sorgen. Mit dem Einfachsten beginnen: Sie war ... war ... Sie konnte sich nicht einmal an ihren Namen erinnern, und es war dieser Gedanke, der sie zum ersten Mal an den Rand der Panik brachte, seit sie die Fesseln jenes todesähnlichen Schlafes abgestreift hatte, in den sie irgendwann, vor unendlich langer Zeit gesunken war. Ganz schwach glaubte sie zu wissen, daß sie sich nicht freiwillig in diesen Zustand begeben hatte und daß sie ... Es geschah so plötzlich, daß sie aufgeschrien hätte, wäre sie nur in der Lage dazu gewesen: Eine gewaltige, zehnfingrige Insektenklaue schlug nach ihren Gedanken und zerfetzte den Schleier aus grauen Spinnweben, der sich darüber ausgebreitet hatte. Charity erwachte.
    Sie war auf der Flucht. Das Leben eines Wastelanders brachte es zwangsläufig mit sich, daß man sehr früh lernte, sich durchzuschlagen und mit Gefahren fertig zu werden. Sie kannte alle Tricks, um die Reiter von der richtigen Spur abzubringen, und genug kleine Kunstgriffe und Kniffe, selbst einen Shark zu narren. Aber heute war ein ganzes Dutzend hinter ihr her, und sie hatte die Spuren von mindestens drei Reitern gesehen. Ihre Chancen standen, vorsichtig formuliert, nicht besonders gut. Im Moment war sie zwar in Sicherheit, aber die Felsenhöhle, in die sie sich zurückgezogen hatte, bot ihr nur für kurze Zeit Schutz. Die Sharks waren nicht dumm - und zu allem Überfluß wurde die Höhle von einer Fangspinne bewohnt, wie die zahllosen kleinen Knochenhaufen bewiesen, die unter ihren nackten Füßen knisterten. Das Tier würde nicht vor Einbruch er Dunkelheit zurückkommen, und es war fraglich, ob es einen so großen Gegner wie einen Menschen überhaupt angreifen würde; aber Net hatte weder Lust, es herauszufinden, noch ihr Nachtlager mit einer kopfgroßen, zehnbeinigen Scheußlichkeit zu teilen. Sie hatte noch eine gute Stunde, ehe sie ihre Deckung verlassen mußte. Und dann ... Vorsichtig schob sie sich ein wenig näher an den Höhlenausgang heran und spähte zu den Bergen hinüber. Net hatte fast das Gefühl, nur die Hand ausstrecken zu müssen, um ihre Ausläufer berühren zu können. Aber sie wußte auch, wie sehr dieser Eindruck täuschte. Die klare Luft hier oben verzerrte die Entfernungen. Bis zu den ersten Hängen mußten es einige Meilen sein. Und es war fraglich, ob sie selbst dort sicher wäre - die Reiter kamen nie in die Berge, aber diese verdammten Sharks stießen in letzter Zeit immer weiter nach Süden vor. Verdammt, was hatte sie nur falsch gemacht? Es war doch nicht das erste Mal, daß sie sich an eine Reiterkarawane herangepirscht hatte, um Lebensmittel zu stehlen! Wieso veranstalteten sie plötzlich eine Treibjagd auf sie, als hätte sie sich die goldene Klobrille des Statthalters unter den Nagel gerissen? Sie schloß die Augen und lauschte einen Moment angestrengt. Für eine Sekunde glaubte sie das hohe Summen eines noch weit entfernten Sharks zu hören, aber dann merkte sie, daß sie sich das Geräusch nur einbildete. Nein - wenigstens für den Moment schienen sie ihre Spur verloren zu haben. Ihre Hand tastete nach der Waffe, die unter ihrem Kleid verborgen war. Schmerzhaft wurde ihr bewußt, daß ihr Vorrat an Springmaden auf zwei zusammengeschrumpft war und
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