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Ins Nordlicht blicken

Ins Nordlicht blicken

Titel: Ins Nordlicht blicken
Autoren: Cornelia Franz
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wiederkommen.« Ehe Jonathan ihr antworten konnte, war sie ihm schon entwischt und lief den Kai hinunter, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Jonathan sah ihr nach, bis sie hinter den parkenden Lastwagen verschwunden war. Dann wandte er sich der Alaska zu, wo Shary an der Gangway auf ihn wartete undihm zuwinkte, dass er sich beeilen sollte. Er nahm seine Reisetasche und rannte los. Mann, er freute sich auf die Rückreise mit ihr, auf die Tage an Deck genauso wie auf die Nächte. Es war gut, die Stunden in der dunklen Kabine nicht alleine sein zu müssen. Sie würden viel Zeit haben. Zeit füreinander und für die Geschichte, die er ihr erzählen wollte. Die Geschichte von Pakkutaq Wildhausen, dem unglücklichen Krabbenpuler, der ein neues Leben gesucht hatte, und von Jonathan Querido, dem Jungen, den es nun nicht mehr gab.

MS Alaska, Südwestküste Grönlands, Sommer 2025
    Es war eine klare, wolkenlose Nacht, in der Pakkutaq Wildhausen in einem Liegestuhl an Deck der Alaska saß und versuchte, die Panik in den Griff zu bekommen, die ihn aus seiner Kabine getrieben hatte. Immer noch überfiel ihn manchmal, wenn er alleine im Dunkeln lag und es stickig und eng war, die Angst, die ihm die Kehle zuschnürte. Eigentlich waren sie zu dritt in der Kabine und es kam kaum vor, dass er alleine war. Doch in dieser Nacht hatte Minik so lange und laut geschrien, dass Shary mit ihm aufgestanden war, um ihn herumzutragen. Jetzt kam sie mit dem schlafenden Baby auf ihn zu und legte ihm den Kleinen in den Arm.
    »Wachablösung«, sagte sie. »Ich leg mich noch mal hin. Wenn du Glück hast, schläft er jetzt endlich mal zwei Stunden lang durch.«
    Pakku spürte die Wärme seines Sohnes, der zusammengerollt auf seinem Bauch lag. In dem weißen Strampler sah er aus wie ein Eisbärbaby, von den dichten schwarzen Haaren einmal abgesehen. Jonathan strich ihm vorsichtig über den Kopf. Noch immer hatte er nicht wirklich begriffen, dass dieses winzige Wesen sein Kind war, dass er Vater war und Ehemann. In den fünf Jahren, seit Shary und er auf der Alaska Grönland hinter sich gelassen hatten, war er endgültig erwachsen geworden.
    Nachdem er Shary in der ersten Nacht seine Geschichte erzählt hatte, hatte es kein Zurück mehr gegeben. In Hamburg hatte er sich bei der Polizei gemeldet, wo seine Angst und sein Herzklopfen sehr schnell in Irritation umgeschlagen waren. Offenbar war niemand besonders erpicht darauf, den Totschlag an einem philippinischen Schiffsjungen wieder aufzurollen, der seit neun Jahren auf einem abgelegenen Friedhof in Grönland begraben lag und den niemand vermisste und niemand betrauerte. Jonathan hatte das Gefühl gehabt, dass ihn der Kripobeamte am liebsten wieder nach Hause geschickt hätte. Aber es hatte natürlich trotzdem einen Prozess gegeben, Jonathan war zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Nach langem Hin und Her zwischen den grönländischen, philippinischen und deutschen Behörden hatte er einen neuen Ausweis mit seinem alten Namen bekommen. Und so war er nun auch offiziell wieder Pakkutaq Wildhausen, geboren in Nuuk, Grönland.
    Als Shary und er vor einem Jahr geheiratet hatten, war kurz der Gedanke in ihm aufgeblitzt, ihren Nachnamen anzunehmen. Mit einem Federstrich wäre er das Erbe seines Vaters losgeworden, die ständige Erinnerung an Peter Wildhausen und die sieben kalten Jahre, die er mit ihm verbracht hatte. Aber es war nur ein kurzer Moment des Zögerns gewesen, dann war ihm endgültig deutlich geworden, dass die Zeit des Verdrängens vorbei war.
    Das große Aufräumen in seinem Leben war wie eine Befreiung gewesen und seine Liebe zu Shary war für ihn der beste Beweis, dass es richtig gewesen war, die Wahrheit zu sagen. Pakkutaq lächelte, als er daran dachte, wieer nach seiner Beichte in der Kabine der Alaska neben ihr gelegen hatte.
    »Komm, Pakkutaq oder wie immer du heißen magst«, hatte sie gesagt, »ich weiß, wie wir die bösen Geister verjagen können, die hier vielleicht noch herumspuken.« Er hatte sich von ihr küssen und streicheln und verführen lassen und für ein paar Stunden tatsächlich alles vergessen, was auf diesem Schiff passiert war.
    Nur in einem Punkt hatte er sich dagegen entschieden, die Vergangenheit wieder aufzurollen. Als die Kripo im Zusammenhang mit ihren Ermittlungen auf den Tod Peter Wildhausens im Hamburger Stadtpark gestoßen war, hatte er kein Wort über Lloyd und seine Vermutungen verloren. Er ahnte, dass Lloyd ihn hatte schützen wollen, mit
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