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Ins Nordlicht blicken

Ins Nordlicht blicken

Titel: Ins Nordlicht blicken
Autoren: Cornelia Franz
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werde ich. Irgendwann.«
    Kurz darauf liefen sie mit ihrem Gepäck zum Hafen, wo sie die Alaska am Pier liegen sahen. Das Kreuzfahrtschiff war zum Ablegen bereit. Jonathans Blick ging den Kai entlang und er entdeckte den Kleinbus, aus dem gerade die Wandergruppe ausstieg, mit der Shary hatte mitgehen wollen.
    »Wie gut, dass du dir den Fuß verstaucht hast«, sagte er und legte den Arm um Shary.
    »Na, vielen Dank.«
    »Wer weiß, was sonst ...«
    »Pakku!« Eine Stimme ließ Jonathan mitten im Satz innehalten. Ein Klang, den er vergessen hatte und der trotzdem so vertraut war, das u länger gezogen, als es nötig gewesen wäre. Als er sich umdrehte, stand Maalia vor ihm. In einer einzigen Sekunde hatte er alles an ihr erfasst. Die dunklen mandelförmigen Augen, das leicht anzügliche Lächeln, die schwarzen Haare, die ihr so wie als junges Mädchen über den Rücken fielen, der seitlich geneigte Kopf. Er sah ihre schmalen Schultern, die Linien ihrer Schlüsselbeine, die sich unter ihrem Baumwollpulli abzeichneten, genauso wie ihre Brüste. Er nahm den weich fallenden Rock wahr, der ihr bis zu den Knien ging, ihre Beine. Ihr Anblick ging ihm durch den Körper, durch jede Zelle, und für einen Moment war alles wieder da. Seine Lust, sein Verlangen, seine Abwehr und seine Einsamkeit. Und die Zerrissenheit, die ihn damals gelähmt hatte. Er hatte sich nicht auf Maalia einlassen können. Auf Maalia genauso wenig wie auf Grönland. Er streckte die Hand nach ihr aus und zog sie im selben Moment wieder zurück.
    Maalia kräuselte spöttisch die Lippen, als wüsste sie, was in ihm vorging. »Keine Angst. Ich wollte dir nur Auf Wiedersehen sagen, Pakkutaq.«
    Jetzt erst wurde sich Jonathan bewusst, dass sie ihn mit seinem alten Namen angeredet hatte. Er spürte, wie Shary in seinem Arm die Muskeln anspannte und dass sie ihn von der Seite anschaute.
    »Wie schön, dich zu sehen, Maalia«, sagte er und plötzlichmeinte er es ernst. Für einen Moment ließ er Shary los und nahm Maalia in die Arme. Als er den Duft ihres Haares einatmete, erwartete er instinktiv, den Geruch nach Shampoo und Krabben zu spüren, den er an ihr gekannt hatte. Er gab sie frei und legte wieder den Arm um Shary.
    »Das ist Maalia«, wandte er sich an Shary. »Ich kenne sie noch von früher.«
    Shary nickte Maalia zu. »Ich lass euch mal allein«, meinte sie und schaute Jonathan mit einem fragenden Blick an. »Ich werde schon mal an Bord gehen. Bis später ...« Sie zögerte, »Jonathan.«
    Jonathan sah ihr hinterher, wie sie, immer noch leicht hinkend, zur Schiffstreppe ging.
    »Sie sieht nett aus. Und ziemlich sexy.« Maalia lächelte freundlich und ohne Ironie.
    »Stimmt«, antwortete Jonathan. »Sie hat mich am Anfang an dich erinnert.«
    Maalia lachte und legte Jonathan die Hand auf den Oberarm. »Ich hab doch gesagt, dass du zurückkommen wirst, Pakku.«
    »Ja. Aber es hat lange gedauert.«
    »Ziemlich lange. Du bist ein anderer geworden.«
    Jonathan sah sie fragend an. Wusste sie, was damals auf der Alaska passiert war? Hatte Aqqaluk ihr alles erzählt?
    Maalia schien die Frage in seinem Blick nicht beantworten zu wollen. »Ich habe mich auch verändert. Wir alle.«
    »Ja?«
    »Ich habe ein Kind, ein kleines Mädchen. Avaaruna ...«
    In Jonathan blitzte eine Erinnerung auf, ein Satz, den er vor Kurzem gehört hatte. »Avaaruna ... Das Mädchen, das sich den Kopf gestoßen hat?«
    »Genau. Angas und meine Tochter. Er hat es dir nicht gesagt, neulich, als du bei uns im Büro aufgetaucht bist, nicht wahr?«
    Jonathan schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Wir sind seit einer Ewigkeit verheiratet. Seit vier Jahren.« Maalia machte eine kurze Pause. »Und zwar ziemlich glücklich, finde ich. Es ist alles gut so, wie es gekommen ist.« Sie drückte Jonathan einen flüchtigen Kuss auf die Wange. »Mach’s gut«, sagte sie. »Ich muss ins Büro. Wir öffnen um zehn.«
    »Das Büro der Traditionsbewegung?«
    »Ja.« Sie strich sich die Haare aus der Stirn. »Auch das hat dir Anga nicht erzählt, als ihr in der Küche gesessen habt. Kein Wort darüber, dass ich auch da war. Wenn Aqqaluk nichts gesagt hätte, wäre von Anga kein Wörtchen gekommen. Er ist immer noch ein bisschen eifersüchtig auf dich.« Sie legte ihre Lippen an sein Ohr. »Zu Recht, Pakkutaq«, flüsterte sie. Dann ließ sie ihn los und lachte ihn an. »Aber wenn du nur alle neun Jahre hier auftauchst, hat er wohl nichts zu befürchten. Auf Wiedersehen, Pakku. Ich weiß, du wirst
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