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Ins dunkle Herz Afrikas

Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas
Autoren: Stephanie Gercke
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Lied gehasst. Immer wenn er es summte, spielte sie Wagner«, seufzte sie leise und kramte weiter in der Truhe. »Sieh mal, hier sind einige Briefe.« Sie legte den mit einem Gummiband zusammengehaltenen Packen auf den Tisch, entfaltete den obersten Brief.
    >Mein geliebtes Täubchen<, begann sie halblaut, verstummte dann. Es war ein bezaubernder Brief, einer der schönsten Liebesbriefe, den sie je gelesen hatte. Plötzlich schwebte ein Klingen durch den Raum, und ganz entfernt meinte sie ein junges Mädchen lachen zu hören.
    »Sie haben sich geliebt! - Sie haben sich nicht sehr häufig berührt, weißt du.
    Ich kann mich nicht einmal erinnern, dass sie sich je auf den Mund geküsst haben.« Mit beiden Händen wischte sie sich das Gesicht trocken. »Sie haben sich wirklich geliebt«, lächelte sie versonnen und fühlte sich unerklärlich beschwingt.
    Lange saßen sie eng umschlungen auf der Couch. Sie lauschte lans Herzschlag, dachte an das junge Paar, das ihre Eltern gewesen war.
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    »Was ist später nur mit ihnen passiert? Was hat ihre Schultern so gebeugt, Mama so bitter gemacht?«
    »Eine Liebe kann sterben, kann im Alltag versinken wie ein Mensch im Treibsand«, murmelte er, seinen Mund in ihren Haaren, »Wir müssen sehr vorsichtig mit unserer umgehen. Wir müssen immer Freunde bleiben.« Leise summte er ein paar Takte von Papas Lied. Die wehmütige Weise umwehte sie wie ein weicher Wind. »Verlass mich nie - bitte, lass mich nie allein.« »Dann müsste ich aufhören zu atmen.« Er öffnete wortlos seine Arme, und sie schmiegte sich in die vertraute Wärme, formte eine Schale mit seinen Händen und legte ihr Gesicht hinein. Eine Berührung, intimer als ein KUSS, eine Geste in der dreiundzwanzig Jahre gemeinsames Leben lagen.
    Sein Mund streichelte ihren. Sie schmeckte das Salz auf seinen Lippen. Waren es ihre Tränen oder seine? Unter seinen zärtlichen Händen lösten sich ihre verspannten Muskeln, sie versank in dem Violettblau seiner Augen, und die Zeit setzte aus.
    Papa starb im März 1986, acht Jahre nachdem sie Südafrika zum zweiten Mal verlassen hatten. Der Himmel war hoch und von durchscheinendem Frühlingsblau, als sie seine Asche von einem Fischkutter aus in die Nordsee streuten. Sie warf ihm Blumen hinterher. Die Blüten hüpften und drehten sich, die munteren Wellen trugen sie fort nach Süden, der Sonne entgegen. Nach Afrika. »... wie blau ist das Meer, wie groß kann der Himmel sein ...«, sang sie leise und sah ihrem Vater nach.
    Seitdem kam sie nicht mehr zur Ruhe. In einem ständigen innerlichen Kampf zermürbte sie sich zwischen Herz und Vernunft. Das Wetter in Hamburg erschien ihr schlechter, das Licht trüber, die Menschen kühler. Sie buchte Ferien auf Mallorca und brach beim Anblick einer mickrigen Jakaranda in Tränen aus. An einem regnerischen Abend ein paar Monate nach Papas Tod lud 26
    lan sie ins Kino ein. Es gab »Jenseits von Afrika«. Bei dem ersten Satz
    - diesen berühmten Worten: »Ich hatte eine Farm in Afrika« - blieben ihr die Kekse, die lan gekauft hatte, in der Kehle stecken. Auf der Leinwand wurde Afrika zelebriert, doch sie sah weder die Bilder, noch verstand sie die Worte.
    Sie war in Afrika. Noch nie hatte sie in einem Film geweint, konnte immer Wirklichkeit und Schein auseinander halten, doch jetzt saß sie neben lan im Dunkeln des Filmtheaters, aufgewühlt, zerrissen, und erstickte fast an ihren Tränen.
    Als sie es nicht mehr aushaken konnte, bahnte sie sich blindlings einen Weg nach draußen. Ziellos lief sie durch den feuchten Septemberabend, lan immer ein paar Schritte hinter ihr. »Ich weiß, dass es albern ist, dass ich immer noch Afrika hinterherweine. Ständig versuche ich, mir klarzumachen, dass unser Leben jetzt hier ist, hier in Deutschland. Die Kinder studieren hier, wir haben Freunde - wenigstens ein paar.«

    Er nahm sie wortlos in den Arm, doch sie entwand sich ihm. »Ich muss mich bewegen, ich werde sonst verrückt.« Mit weit ausgreifenden Schritten lief sie vor ihm her, quer über den Jungfernstieg zwischen hupenden Autos hindurch zur Binnenalster hinunter. Sie bröselte die Keksreste aus ihrer Tasche ins Wasser.
    Neugierig schwammen ein paar Enten heran. Der Regen hatte aufgehört, die Nässe tropfte von den Bäumen, ein hell erleuchteter Alsterdampfer, geschmückt mit Lichtgirlanden, glitt an die Anlegerstelle. Die Menschen, die ausstiegen, schienen gut gelaunt. Ihr Gelächter schwebte zu ihr herauf.
    »Henrietta, schau dich um, auch hier ist
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