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Ins dunkle Herz Afrikas

Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas
Autoren: Stephanie Gercke
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irrational, gedanklich nicht zu entwirren, und er merkte, dass er mit keinem über diese Tage im Busch reden konnte, nicht einmal mit dem Menschen, der ihm am liebsten war, ihm so nahe stand, dass er ein Teil von ihm geworden war, seiner Frau.
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    Mittwoch, den 8. November 1989 -einundzwanzig Jahre später in Hamburg Als Henrietta Cargill am Morgen aus dem Haus trat, war der Herbst endgültig vorbei. Ein kräftiger Wind trug den ersten Hauch von Winterkälte aus Russlands Steppen mit sich, es roch nach Frost, und sie dachte an ihren Garten in Afrika.
    Dort, an dem schmalen Küstenstreifen Natals in Südafrikas heißem Osten, wurde es jetzt Sommer, schäumten Bougainvilleas wie rote Wasserfälle über Mauern und Wände, und die Jakarandas trugen hellblaue Schleier zwischen frischem Grün.
    Nie war es wirklich kalt gewesen dort, und das rührte nicht nur von der Sonnenhitze her.
    Sie war glücklich gewesen in ihrem Garten in Afrika, aber das war lange her, und seitdem hatte sie Afrika in ihrem Kopf eingemauert und lebte hier. Das Verlangen nach Licht und Wärme blieb, aber das war ja nichts Besonderes.
    Ihr Garten lag jetzt in Norddeutschland, in Hamburg, ganz in der Nähe der Elbe, wo es viele Gärten gab, mit hohen Bäumen, sauber geschnittenen Rasenkanten und Beeten ohne Unkraut. Ihr Garten allerdings war anders.
    Prächtige rote Kletterrosen, sonnenhungrig wie sie, ersetzten ihr die Bougainvilleas, Kapuzinerkresse mit Blüten wie flammende Orchideen gaukelten ihr tropische Farbenpracht vor, großblättrige Bergenien, immergrün wie der Gartenbambus, erfreuten ihre Seele, wenn totes Laub die Erde bedeckte und die Bäume ihre blätterlosen Äste in einen kalten Himmel streckten. Die Kletterrose trug jetzt nur noch braunes, von Rosenrost geflecktes Laub, und die späten Dahlien, die Hibiskusbüschen ähnelten, faulten von innen 21
    her. Doch sie wusste, mit den ersten Strahlen der Frühlingssonne würde ihr Garten sich wieder regen, und an Sommertagen, wenn er sonnenüberschüttet vor ihr lag, war sie in Afrika, erinnerte sich, wie sie sich fühlte, wenn sie glücklich war.
    Entfernt, ganz entfernt tanzte dann diese Melodie in ihrem Kopf, eine hingehauchte Tonfolge, flüchtig, lockend, wie eine dahinwir-belnde Elfe. Papa hatte sie oft gesummt, nur wenige Takte, und sie hatte gewusst, dass auch er dann wieder in seinem Afrika war. »Bald gehen wir wieder rüber«, sagte er jedes Mal, wenn sie sich sahen, und meinte auf seine Insel nach Afrika. So lange sie sich zurückerinnern konnte, träumte er davon. Dann stand er am Fenster, etwas schief auf seine Krücken gelehnt, da ein Bein verkrüppelt und deutlich kürzer war. Seine wasserblauen Augen auf den südlichen Horizont gerichtet, hinter dem Afrika lag, presste er die Töne durch die Zähne, klanglos, heiser, immer und immer wieder, und wurde dabei von Minute zu Minute vergnügter. Er sehnte sich mit solcher Kraft und Leidenschaft nach seinem Afrika, dass sich in dunklen Tagen seine Lebensflamme davon nährte.
    Dann erzählte er, der die Gabe besaß, mit Worten Bilder zu malen, von der Insel, wo er mit Mama so lange gelebt hatte und sie geboren wurde, und seine Worte machten sie zu einem magischen Ort, wo das Leben einfach war und schön, wo Mensch und Tier miteinander in Frieden lebten und reife Früchte an den Bäumen hingen, wo das Wasser klar war und rein und die Luft von unvergleichlicher Süße. So wie im Paradies.
    Mama, die sich Schicht um Schicht mit Schweigen zudeckte, wollte nichts mehr von Afrika hören. Sie zog sich in eine innere Welt zurück, von der sie alle ausschloss, sogar Papa.
    Er sah sein Afrika nie wieder. Mama könne er das nicht antun. Dann starb Mama im November 1984, ganz schnell, eigentlich ohne Grund. So als hätte sie einen Blick in ihre Zukunft getan und nichts
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    gesehen, wofür sich die Anstrengung zu leben gelohnt hätte. Ihr Herz hörte einfach auf zu schlagen, und Papa war allein. Sie erwartete, dass er nun seine Koffer packen und das nächste Schiff nach Afrika nehmen würde, aber er tat es nicht. »Ein wenig Zeit benötige ich noch«, sagte er und begann sein Haus zu renovieren, »es ist noch zu früh nach Mamas Tod.« Dann war es die falsche Jahreszeit. Zu heiß, zu nass, oder sein verkrüppeltes Bein spielte sich auf.
    Nach einer Weile hörte sie auf zu fragen.
    Er verbrachte viel Zeit, Fahrpläne von Frachtdampfern zu studieren, die seine Insel anliefen, stellte lange Listen auf von allem, was er mitzunehmen gedachte, aber
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