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Ins dunkle Herz Afrikas

Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas
Autoren: Stephanie Gercke
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dann war es schon wieder Winter. Die Winterstürme auf der Biskaya sind entsetzlich, ich warte besser bis zum Frühjahr, überlegte er, außerdem muss ich den Garten winterfest machen. Er legte Fahrpläne und Listen beiseite und vergrub ein-hundertfünfzig Narzissenzwiebeln in der herbstkalten Erde. »Schön wird es hier im April aussehen«, murmelte er zu frieden. Wenige Tage nach seinem 78. Geburtstag schlenderte er durch den Weihnachtsmarkt im Museum für Kunst und Gewerbe. Er wollte eben die lange, geschwungene Treppe hinuntergehen, als ein Schwindelanfall ihn stolpern ließ. Sein krankes Bein knickte ein, und er stürzte die einundzwanzig Stufen hinunter. Als man ihn nach vier Wochen, querschnittsgelähmt von der Taille abwärts, aus dem Krankenhaus in ein Leben im Rollstuhl und in völliger Abhängigkeit entließ, hörte er auf, von Afrika zu träumen. »Ich bin wie ein Vogel im Käfig«, sagte er traurig und sprach nicht mehr davon, auch hörte man ihn niemals wieder sein Lied summen. Als er zusammenbrach, ganz leise, merkte es keiner.
    Am Abend vor der Trauerfeier öffneten sie die koffergroße Kirschbaumtruhe, in der Papa seine Papiere aufbewahrte. Alte Geschäftspapiere, säuberlich geführte Haushaltsbücher, entwertete Pässe, de-23
    ren Stempel von dem rasdosen Wandern seiner frühen Jahre zeugten, lan zog einen Umschlag hervor. »Das Testament.« Er überflog es. »Wie zu erwarten war, du und Dietrich erbt das Haus je zur Hälfte.«
    »Das gibt ein Problem. Ich weiß nicht einmal, ob das Telegramm zu Mamas Tod ihn erreicht hat. Die letzte Adresse, die ich von ihm habe, ist ein Postfach in Coober Pedy in Australien. Er soll dort nach Opalen geschürft haben, so schrieb er zumindest. Nach Mamas Tod hab ich Tage am Telefon verbracht, um ihm auf den verschlungenen Pfaden seines Lebens zu folgen, aber die Spur, die von Coober Pedy nach Bangkok führte, verlief sich auf einer der idyllischen kleinen Inseln vor Thailand. Seit 1979 habe ich nichts von ihm gehört.«
    Frustriert knabberte sie am Fingernagel. »Ich wette, er sitzt unter irgendeiner Palme am Meer, in jedem Arm ein hübsches Mädchen, und genießt das Leben. So war es immer.« Bitterkeit färbte ihre nächsten Worte. »Er flatterte davon, für Probleme war ich zuständig.« Sie lachte auf. »Beruflich machte er dies und das und alles höchst erfolgreich. Der schwatzt einem Eskimo eine Tiefkühltruhe auf, ohne Problem.« »Du magst ihn, nicht wahr?«
    »Oh ja, sehr, und ich vermisse ihn. Als er dreißig wurde, erklärte er uns, dass er von jetzt ab gedenke, sein Leben zu genießen. Er stand da, Hände in den Hosentaschen, ließ Papas Globus unter seiner Hand herumwirbeln und verkündete, dass er sich jetzt die Welt ansehen werde. Und das tat er«, sagte sie. »Hier!« Sie warf einen Stapel bunter Postkarten auf den Tisch. »Aus Thailand, Sumatra, Abidjan, dem Jemen - was um alles in der Welt wollte er nur im Jemen? Das Postfach seines Freundes in Sydney, das er als Adresse benutzte, ist aufgelöst. Ich weiß nicht, wo ich ihn noch suchen soll!« Abwesend baute sie ein Haus aus den Karten. »Er hat Mama das Herz gebrochen, als er verschwand.« Ungeweinte Tränen, deren Ursprung bis in ihre Kindheit zurückreichten, brachen ihre Stimme. »Und was mach ich nun? Allein krieg ich keinen Erbschein!« Ihre heftige Bewegung fegte das Kartenhaus vom Tisch. »Ich werde ihn suchen lassen. Ich will jetzt nicht darüber nachdenken.«
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    Sie blätterte in Papas Unterlagen. Aus den Seiten eines alten Schulheftes fiel ihr ein sepiafarbenes Foto entgegen. Eine junge Frau, eigentlich noch ein Mädchen, kniete lachend, den Kopf in den Nacken geworfen, die Arme weit ausgebreitet, vor dem Hintergund eines Palmenhains auf dem flachen Bug eines kleinen Schiffes. Der leichte Wind hatte ihre halblangen, dunklen Haare hochgewirbelt und die Ärmel des weißen Kleides zu Flügeln gebauscht. Das Meer war glatt, die Morgensonne umgab ihre Figur mit einem Strahlenkranz.
    »Meine kleine Taube« stand darunter - unverkennbar in Papas schwungvoller Handschrift.
    »Die Taube. La Paloma«, hauchte sie. Einzelne Töne formten sich in ihrer Kehle, wurden zu einer Melodie voller Sehnsucht und Verlangen. Papas Melodie.
    »Wer ist das? Wie hübsch sie ist, so voller Leben - sie sieht dir ähnlich, bis auf die dunklen Haare.« lan schaute ihr über die Schulter. »Das ist Mama«, sagte sie langsam, Erstaunen in ihrer Stimme, »ich wusste nicht, dass sie je -
    so jung war. Sie hat Papas
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