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Ins dunkle Herz Afrikas

Ins dunkle Herz Afrikas

Titel: Ins dunkle Herz Afrikas
Autoren: Stephanie Gercke
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verstohlenen Blick. Sie besaß ein gutes Gesicht, verwittert und zerfurcht, mit einem breiten, kräftigen Mund und Lachfalten um die Augen. Sie hatte die Arme verschränkt und starrte übers Meer. Sie rührte sich nicht, schien sie nicht zu bemerken, und sie gingen mit leichten Schritten an ihr vorbei, um sie nicht zu stören.
    Bald saßen sie auf ihrem Felsen, eng aneinander geschmiegt. Die raue Oberfläche war noch kühl. Um sie herum erwachte die Natur. Dicke Krebse mit breiten Scheren pickten geschäftig ihr Frühstück zwischen den Seepocken heraus, in dem Teich zu ihren Füßen flirteten zwei Feuerfischchen, durchsichtig wie venezianisches Glas. Die beiden Menschen auf dem Felsen verschmolzen zu einer licht-umflossenen Silhouette, schauten und atmeten und fühlten. Sie ließen ihre Blicke nach Norden schweifen, über die grüne Küste, die Hügel Zululands, noch verhüllt vom perlfarbenen Dunst der Mor-522
    gendämmerung, und weiter, viel weiter in die aufsteigende Helligkeit, in das ferne Land der kühlen Morgen und sanften Farben. »Wir haben die Wahl«, sagte er. Nur diesen einen Satz. Über ihnen wiegten sich Möwen leise schwatzend in der warmen Luft, ihre Flügel glänzend rosa in der Reflexion des anbrechenden Tages.
    Sie schloss die Augen, meinte Papas Lied zu hören. »Ich bin so leicht, ich könnte fliegen ...« Er sagte nichts.
    Der erste Sonnenstrahl blitzte auf wie ein einzelner Diamant, und dann erschien sie, die Lebensspenderin, und glitzerte und funkelte, dass das Meer und der Himmel ein einziges, schimmerndes Licht zu sein schienen.
    Als würde alles, was sie jemals erlebt hatten, alles, was sie durchmachen mussten, zusammenkommen. Die schlimmen Tage, die schwarzen Nächte - jetzt bekamen sie einen Sinn. Es musste so sein, damit diese Sekunde, hier auf ihrem Felsen, dieser Tropfen aus dem Fluss der Zeit, so sein konnte, wie er jetzt war. Jetzt und für immer.
    Da bewegte sich die alte Frau, wandte ihren Kopf und sah hinauf zu ihnen. Dann deutete sie übers Meer.
    »Wo ist das Ende?«, fragte sie. »Wo ist das Ende?«
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