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In weißer Stille

In weißer Stille

Titel: In weißer Stille
Autoren: Inge Löhnig
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cremefarbenen Vorhänge und füllte das Schlafzimmer mit Zwielicht. Ein Blick auf den Wecker zeigte Babs, dass es kurz vor sechs war. Montagmorgen. Sie könnte noch eine halbe Stunde schlafen. Aber Albert, der sich seit einiger Zeit hin und her wälzte, hatte sie aufgeweckt. Einen Moment überlegte sie, aufzustehen, in aller Ruhe eine Tasse Tee zu trinken und dabei Zeitung zu lesen. Normalerweise genoss sie diese ruhige Zeit, wenn die Zwillinge und ihr Mann noch schliefen, wenn noch niemand etwas von ihr wollte, wenn sie noch nicht funktionieren musste und ihren Gedanken nachhängen konnte.
    Doch heute war es anders. Sie war nervös. Um elf Uhr stand ihr das erste Vorstellungsgespräch ihres Lebens bevor, und das mit fünfunddreißig Jahren. Da konnte Caroline noch so oft sagen, dass es in diesem Fall allein auf ihre Fähigkeit, Räume zu gestalten, ankam und niemand eine Diplomurkunde sehen wollte. Babs hatte das Studium der Innenarchitektur kurz vor Schluss abgebrochen und außerdem keinerlei berufliche Praxis vorzuweisen – wenn man mal davon absah, dass sie ab und zu Freunden und Verwandten half, kleinere oder größere Wohnprobleme zu lösen. So wie bei Alberts Schwester Caroline, die als Managerin zwar genügend Geld verdiente, um sich mit Designermöbeln einzurichten, aber weder die erforderliche Zeit noch das Händchen dafür hatte. Sie war von der neuen Einrichtung derart begeistert gewesen, dass sie sich in ihrem Netzwerk nach einem Jobfür Babs umgesehen hatte und fündig geworden war. Eine Redakteurin der Wohnzeitschrift
Interior & Design
suchte Innenarchitekten für die Rubrik
Ein Problem – drei Lösungen.
»Das ist ideal für dich«, hatte Caroline gesagt. »Du bekommst zwar keine feste Anstellung, sondern wirst nach Auftrag bezahlt, dafür kannst du zu Hause arbeiten. Außerdem ist das kein Job, der dich vierzig Stunden in der Woche fordert, sondern vielleicht zwanzig im Monat. Reich wirst du damit nicht, aber es ist ein Einstieg, und wer weiß, was daraus wird.« Dank Carolines Vermittlung bot sich ihr nun eine einzigartige Möglichkeit, vom Hausfrauendasein wegzukommen und den Schritt in eine noch unbekannte Welt zu tun. Sie war gespannt, wie das Gespräch verlaufen würde.
    Albert warf sich im Bett herum und murmelte im Schlaf etwas vor sich hin, das wie
Schatzilein
klang. Schatzilein? Zu ihr sagte er immer
Mäuschen.
Schatzilein? Hatte er … Schon seit einiger Zeit trug Babs eine Sorge mit sich herum, die sie jedoch nicht genauer betrachten wollte: die Sorge, dass Albert es auch in diesem Punkt seinem Vater gleichtun würde. Dem Mann, der für ihn Vorbild in allen Lebenslagen war, dem Mann, der seine Frau Elli ein über vierzig Jahre währendes Eheleben lang betrogen hatte.
Bis dass der Tod euch scheidet.
Elli hatte sich daran gehalten. Doch im Grunde konnte Babs sich nicht vorstellen, dass Albert sie betrog. Sicher hatte er geträumt.
    Im Bett war es gemütlich warm. Vielleicht gelang es ihr, noch ein wenig zu dösen. Als sie gerade am Einnicken war, drehte sich Albert schon wieder herum. Normalerweise schlief er tief und ruhig. Ob er noch sauer war wegen des Streits am Hochzeitstag? Das war jedoch schon eine Woche her. Babs gehörte weder zu den Frauen, die Wert darauf legten, dass dieser Tag feierlich begangenwurde, noch zu denen, die ein Geschenk erwarteten. Eigentlich machte sie sich aus solchen Jubiläen nichts. Trotzdem war es ein besonderer Tag, und manchmal, wenn sie wünschte, Albert möge ihr zeigen, dass er sie noch liebte, dass er noch zu ihr und den Kindern stand, dass ihm seine Familie wichtig war, dann maß sie solchen Tagen eben doch eine Bedeutung bei, die sie ihnen sonst nicht zugestehen wollte. Sollte ihre Ehe tatsächlich scheitern, dann würde ein stilvoll begangener Hochzeitstag sie auch nicht retten.
    Ob es nun ein schlechtes Zeichen war, dass ausgerechnet der Dreizehnte in einem Fiasko geendet hatte? Babs seufzte. Sie war nicht abergläubisch und außerdem übertrieb sie. Es war kein Fiasko gewesen. Aber eine große Enttäuschung.
    Als sie am vergangenen Montag beim Frühstück vorgeschlagen hatte, für den Abend einen Tisch im
La Bretagne
zu bestellen, war Albert erfreut gewesen. Sie hatte das nachmittags erledigt und ihn dann in der Praxis angerufen, um Bescheid zu sagen. Die Jungs würden bei Freunden übernachten, und Babs hatte sich einen Abend mit Champagneraperitif, einem exquisiten Menü und leichtem Wein ausgemalt, begleitet von einem guten Gespräch und
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