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In weißer Stille

In weißer Stille

Titel: In weißer Stille
Autoren: Inge Löhnig
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Münsing. Eine schwarze Katze lief über die Straße, sprang über einen Staketenzaun und verschwand in einem Gestrüpp verblühter Dahlien.
    Als Dühnfort das Haus erreichte, waren Sylvia Ullmann und der Schorsch, dessen Nachnamen er noch immer nicht kannte, bereits da. Ihr Kleinwagen verschwand beinahe hinter einem bulligen Geländefahrzeug mit Anhängerkupplung.
    Dühnfort stieg aus, begrüßte Sylvia Ullmann und schlug in Schorschs Hand ein. »Ihnen gehört sie also jetzt, die Sissi.« Er war ein bulliger Kerl von vielleicht fünfzig Jahren. Trotz des eisigen Windes trug er kurze Hosen, Bergstiefel mit derben Strümpfen und eine winddichte Goretexjacke. Ein Gestrüpp graumelierter Locken umwucherte seinen Schädel. Es ähnelte dem Gesträuch an seinen Waden.
    »Dann packen wir’s.« Schorsch fuhr den Geländewagen auf das Grundstück und rangierte ihn vor den Trailer, auf dem das Boot fixiert war. Dühnfort wies ihn mit Handzeichen ein. Wenig später war der Anhänger am Fahrzeug befestigt. Sylvia Ullmann reichte ihm die Hand zum Abschied. »Viel Freude damit.« Sie blickte etwas wehmütig auf die Sissi. »Haben Sie schon einen Namen?«
    »Ich werde es Ikarus nennen.«
    »Ikarus? Aber der ist doch ertrunken.«
    Vielleicht hatte sie recht, vielleicht war das wirklich kein guter Name. »Aber vorher hat er seine Freiheit wiedergewonnen.«
    Sie runzelte die Stirn. »Der Preis der Freiheit war der Tod. Sie sollten lieber noch mal darüber nachdenken.«
    Während er Schorschs Auto zur Segelschule folgte, gingen ihm diese Worte durch den Kopf. Er war zwar nicht abergläubisch, aber vielleicht war Ikarus doch nicht der passende Name.
    Sie erreichten ein großes Areal mit mehreren Schuppen, zwischen denen auf Rasenflächen und Trailern abgedeckte Boote lagen. Weiter hinten ragten vier Stege in den See. An ihnen dümpelten, vertäut und mit Planen abgedeckt, etwa zwei Dutzend Jollen, Kielboote und sogar ein Katamaran im Wasser. Das leise Klimpern klang herüber, mit dem die Falle an die Alumasten schlugen. Über den Himmel jagten graue Wolken, der Wind pfiff frostig über das Wasser. Ideales Segelwetter. Nur ein wenig wärmer könnte es sein, dachte Dühnfort und schlüpfte in die Daunenjacke.
    Schorsch blickte verwundert, als Dühnfort ihn bat, die
Sissi
ins Wasser zu lassen. Aber dann grinste er. »Mich tät es an deiner Stelle auch jucken. Ist zwar ein ziemlicher Aufwand für einmal über den See, aber das machen wir.«
    Gegen Mittag lag das Boot am Steg. Dühnfort sprang an Bord, und wie selbstverständlich packte der Segellehrer mit an. Während sie die Falle durch den Mast zogen und ihn dann aufrichteten, verwickelte Schorsch Dühnfort in ein Gespräch. Offensichtlich wollte er in Erfahrung bringen, über welche Segelkenntnisse er verfügte. Was er erfuhr, schien ihn zu beruhigen, denn er erklärte Dühnfort das Revier.
    Als sie fertig waren, blickte Schorsch auf die Uhr. »Ich muss los. Meine Frau wartet mit dem Mittagessen.« Er ging an Land und blieb noch einen Moment auf dem Steg stehen. »Schönes Boot, wirklich. Pass auf. Der See ist tückisch. Da über die Hügelkette«, er wies nach Westen, »kommt der Wind oft böig und unkonstant. Letzten Sommer ist einer in der Flaute gekentert, als ihn so eine Bö unverhofft erwischt hat. Der Depp hat grad den Spinnacker aufgezogen. Und wenn du nach Berg kommst, pass auf, das Kreuz, das dort aus dem Wasser ragt, ist nicht zum Anlegen. Dort ist der Kini ersoffen. Mach’s gut.« Grüßend hob Schorsch die Hand.
    Dühnfort machte die Leinen los, warf den Außenbordmotor an und tuckerte vorbei an Motorjachten und Booten hinaus aufs Wasser. Erst als das Gewirr aus Stegen und Schiffen hinter ihm lag, stellte er den Motor ab und hisste die Segel. Der Wind blähte sie im Nu, die Sissi nahm Fahrt auf.
    Das Land blieb zurück, die graue Wasserfläche wurde weit, Wolken jagten über ihm her, Gischt spritzte, das Geschrei von Möwen drang an sein Ohr. Etwas fiel von ihm ab, und er fühlte sich leicht und frei. Glücklich wie lange nicht mehr. Dühnfort kreuzte über den See bis nach Possenhofen, segelte weiter bis an die Südspitze, fierte in der einsetzenden Abendflaute Genuafock und Großsegel und näherte sich erst Stunden später auf Vorwindkurs wieder dem Ausgangspunkt. Es wurde bereits dämmrig. Zweihundert Meter vor dem Hafen war es Zeit, den Motor zu starten und die Segel einzuholen. Er klemmte sich die Ruderpinne zwischen die Beine und sah einem Vogelschwarm nach, der
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