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In weißer Stille

In weißer Stille

Titel: In weißer Stille
Autoren: Inge Löhnig
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Ich verstecke auch den Ramazzotti.«
    Wie hatte sie neulich gesagt? Es könnte ihm nicht schaden, Umgang mit ein paar netten Leuten zu haben. »Gerne. Aber unter einer Bedingung.«
    Sie strahlte ihn an. »Die da wäre?«
    »Ich besorge den Wein.«
    »Okay. Ich bringe das meiner Mutter schonend bei. Dann bis morgen.« Zum Abschied hob sie die Hand und verschwand Richtung Parkplatz.
    Dühnfort nahm seinen gewohnten Weg durch die Sendlinger Straße, ging vorbei an hellerleuchteten Schaufenstern, sog kurz den Duft von Kaffee ein, dann den nach Seife. Die kleine Buchhandlung schloss zum Monatsende und bot Schnäppchen an. In all den Jahren hatte Dühnfort noch nie so viele Menschen in diesem verwinkelten Lädchen gesehen. Im Kino am Sendlinger-Tor-Platz lief ein Actionfilm. Über dem Eingangsportal prangte ein handgemaltes Plakat, so eins wie früher. Früher, das klang nach einer anderen Zeit, dabei meinte er nur einige Jahre. Eine aussterbende Spezies, die Plakatmaler, dachte Dühnfort. Wieder einmal fühlte er sich älter, als er war.
    Plötzlich hatte er keine Lust mehr, essen zu gehen. Spaghetti, Butter und Knoblauch hatte er zu Hause. Das musste reichen. Im Zwischengeschoss des U-Bahnhofs kaufte er beim Gemüsehändler, der gerade die Kisten zusammenpackte, eine Handvoll Feldsalat und am Kiosk nebenan eine Tafel Zartbitterschokolade.
    Als er die Haustür aufschloss, empfing ihn diffuses Licht. Eine der Glühbirnen im Flur war kaputt, im Briefkasten steckte hauptsächlich Reklame. Er nahm den Packen unbesehen heraus, betrat damit seine Wohnung und legte ihn auf die Ablage im Flur. Danach schlüpfte er aus dem Mantel und goss sich in der Küche ein Glas von dem wunderbar leichten Soave ein, den er im Sommer so oft mit Agnes getrunken hatte. Bei dem Gedanken an sie durchzog ihn ein kalter Schmerz. Er schob ihn weg, trank einen Schluck Wein, dachte an das Boot.
True Love.
Dass Gina diesen Film überhaupt kannte. Sie war so jung.
True Love.
So würde er es sicher nicht nennen. Sein Boot. Dorthin konnte er seine Sehnsucht nun lenken. Anstatt eine Familie zu gründen, würde er seine Freiheit genießen, durch den Kanal segeln bis zu den Îles Ouessant. Alleine. Warum auch nicht? Tagelang mit niemandem reden. Diese Vorstellung konnte auch verlockend sein. Einsamkeit war nur dann schlimm, wenn sie ungewollt war. Aber er … Wollte er das wirklich? Alleine sein? Ja. Schon. Aber nur an manchen Tagen. Nicht ein Leben lang.
    Er stellte das Glas beiseite. Auf dem Player lag nochdie Eartha-Kitt-CD. Er legte sie ein, füllte einen Topf mit Wasser und stellte ihn auf den Herd.
    Familie. Sein Traum. Wieder einmal hatte er vor Augen geführt bekommen, wie oft aus diesem Ideal die Hölle wurde. Ein solcher Vater würde er nie werden, und seine Kinder würden ihn ebenso lieben wie er sie. Aber das dachten wohl die meisten und dann …
    Eartha Kitt sang, das Wasser sprudelte, Dühnfort warf die Spaghetti hinein. Dann machte er den Salat an, schmolz Butter, gab frisch gepressten Knoblauch und Salz dazu. Die Nudeln brauchten noch ein paar Minuten. Dühnfort nahm das Weinglas und ging auf den Balkon. Sein Atem kondensierte in der kalten Luft. Drei Etagen unter ihm stand der marmorne Engel in der Dunkelheit, ewige Lichter flackerten auf einigen Gräbern. Der Wind fuhr durch Dühnforts Haar, und es fühlte sich beinahe an wie damals, als er noch ein kleiner Junge gewesen war und sein Vater das manchmal getan hatte. Etwas ruppig, die eigene Verlegenheit über diese zärtliche Geste kaschierend. Männer zeigten keine Gefühle. Hatte er das von seinem Vater übernommen? Der Küchenwecker klingelte. Dühnfort leerte das Glas und ging hinein.
    Nach dem Abendessen holte er die Post aus dem Flur. Hauptsächlich Werbung, die Telefonrechnung, eine Postkarte seines Zahnarztes mit der Erinnerung zur jährlichen Vorsorge, dann zwei Kuverts, die handschriftlich an ihn adressiert waren. Das eine kam aus Hamburg und enthielt eine Karte aus schneeweißem Bütten. Die Geburtsanzeige seiner Nichte Elisabeth Sophie. Auf die freie Innenseite der Klappkarte hatte Julius mit seiner runden Handschrift geschrieben, dass Victoria und er sich freuen würden, ihn als Taufpaten für die Kleine zu gewinnen. Julius hatte tatsächlich gewinnen geschrieben. Ein Fotolag bei. Dühnfort betrachtete das schlafende Baby, und wieder zog sich etwas in ihm schmerzhaft zusammen. Er legte das Bild beiseite. Sein Bruder reichte ihm also die Hand zur Versöhnung. Wenigstens das
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