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In weißer Stille

In weißer Stille

Titel: In weißer Stille
Autoren: Inge Löhnig
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sich doch denken, oder soll ich Ihnen das jetzt detailliert beschreiben?«
    Dühnfort fuhr sich über das Kinn. »Natürlich nicht. Wie haben Sie sich gefühlt? Erleichtert, weil dem Streit die Versöhnung folgte, oder müde und ausgelaugt, weil die Ehekrise viel Kraft gekostet hat, oder vielleicht albern und augelassen?«
    Verwundert musterte sie ihn. »Albern trifft es ziemlich gut.«
    »Blieb es bei einem Gin Tonic?«
    »Albert hat mir später noch einen gemacht.«
    »Danach waren Sie müde und entspannt.« Er spürte, dass sie allmählich ärgerlich wurde. Ihre Augen verdunkelten sich, eine Augenbraue stieg in die Höhe.
    »Warum fragen Sie das, wenn Sie es ohnehin zu wissen scheinen?«
    »Sind Sie dann eingeschlafen?«
    »Das ist um diese Uhrzeit nicht ungewöhnlich. Oder wollen Sie darauf hinaus, dass ich es nicht mitbekommen hätte, wenn Albert gegangen wäre? Ich habe einen sehr leichten Schlaf.«
    Eben darum, dachte Dühnfort. Aber er musste es von ihr hören, durfte ihr die Worte nicht in den Mund legen, wenn ihre Aussage das Geständnis ihres Mannes stützen sollte. »Auch in dieser Nacht?«
    Sie wollte nicken, aber die Bewegung blieb auf halber Strecke stecken. »Nein. Da habe ich gut geschlafen.«
    »Außergewöhnlich gut?«
    »Hat Albert etwas in den Drink getan?«, fragte sie ungläubig.
    Dühnfort wies auf das Mikrophon. »Ich brauche erst eine Antwort auf meine Frage.«
    Sie beugte sich vor. »Ich habe tief und fest geschlafen wie schon lange nicht mehr«, sagte sie deutlich und ließ sich zurück in den Stuhl fallen.
    * * *
    Babs ging neben Caroline über das von unzähligen Schuhen im Laufe von Jahrzehnten blankgetretene Linoleum. Die Wände des Flurs schienen enger zusammenzurücken. Das Licht der Energiesparlampen ergoss sich kalt in diesen Tunnel, an dessen Ende eine zerschrammte Schwingtür darauf wartete, sie ins Treppenhaus zu entlassen. Wenn sie dann die Stufen hinuntergestiegen war, würde sie durch das Portal gehen, hinaus auf die Ettstraße, hinein in ein Leben, von dem sie nicht wusste, wie sie es bewältigen sollte.
    Caroline legte ihr den Arm um die Schultern. Erst jetzt bemerkte Babs, dass sie zitterte. Nicht sehr. Es war eher das leichte Vibrieren eines Resonanzkörpers, an dem eine Saite angeschlagen wurde und in dem durch die einsetzende Schwingung ein Ton entstand, der sich im Hohlraum verfing, sich verstärkte, fortpflanzte, den Körper verließ und sich im Raum ausbreitete. Babs wusste nicht, ob es ein hilfloses Wimmern oder ein wütendes Gebrüll würde. Sie presste die Kiefer aufeinander, atmete ein, atmete aus, ging einen Schritt und dann den nächsten, passierte die Schwingtür und stand irgendwann in der kalten Nachtluft. Danach fand sie sich in Carolines Auto wieder und dann in Carolines Wohnung.
    Marc war auch da. Er stand am Herd und machte Dosensuppe heiß. Mit der umgebundenen Küchenschürze sah er albern aus. Albern. Babs schluckte das aufsteigende Lachen hinunter. Caroline kam auf sie zu, zwei Gläser in der Hand, in denen eine bernsteinfarbene Flüssigkeit schwappte. »Oder soll ich dir besser einen Tee machen?«
    Babs griff nach dem Glas. »Ich bin nicht erkältet und habe auch keine Magenverstimmung. Das ist jetzt genau richtig.« Sie trank einen großen Schluck. Es war Whiskey. Brennend rann er die Speiseröhre hinab, erreichte sengend den Magen, trieb ihr die Tränen in die Augen. Caroline setzte sich. Erst jetzt bemerkte Babs die Anspannung in ihrem Gesicht, sah die rotgeränderten Augen, die steile Falte an der Nasenwurzel. Auch für Caroline war eine Welt zusammengebrochen. Das sagte man doch so? Dass eine Welt zusammenbrach. Obwohl es Babs eher so vorkam, als hätte man ihr mit einem Ruck den Teppich unter den Füßen weggezogen. Sie hatte ihr Gleichgewicht verloren, suchte torkelnd nach Halt und griff … ja wohin? Ins Leere?
    Caroline nahm ihre Hand. »Bei der Polizei habe ich nicht viel erfahren. Ich muss wissen, was er getan hat … und warum.«
    Babs nickte. Aber sie verstand es selbst noch nicht. Vielleicht würde mehr an Klarheit entstehen, wenn sie versuchte, Alberts Taten in Worte zu fassen. Aber wo sollte sie anfangen? Am besten mit der Vorgeschichte.
    Marc stellte drei Tassen Gulaschsuppe auf den Tisch und setzte sich. Babs hatte keinen Hunger. Bei der Vorstellung, etwas zu essen, wurde ihr übel. Sie atmete durch und begann zu erzählen, dass Elli zu Beginn der Ehe einenLiebhaber gehabt hatte, dass Wolfram die Affäre entdeckt und sich
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