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In Ewigkeit, Amen

In Ewigkeit, Amen

Titel: In Ewigkeit, Amen
Autoren: Susanne Hanika
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war.
    »Dann gib mir dein Händi«, befahl sie meinem Rücken, bevor ich im Haus verschwand. »Dann mach ich’s. Das kann man nicht machen. Den einfach liegen lassen«, beschloss sie ernst. »Stell dir das vor. Beim nächsten Rosenkranz. Die Kathl kriegt einen Infarkt. Und der Langsdorferin haut’s die nächste Bandscheibe raus. Was is? Krieg ich jetzt dein Händi oder nicht?«
    Ich drehte mich abrupt zu ihr um. Zum Thema Händi muss man zwei Dinge wissen. Großmutter telefonierte grundsätzlich nicht. Selbst beim Arzt musste ich ihr die Termine ausmachen, oder sie ging einfach so hin. Und mit dem Handy telefonierte sie gleich dreimal nicht. Weil ihr da das Gehirn von all der schädlichen Elektronik ganz damisch wurde. Wenn sie also bereit war, ein Handy zur Hand zu nehmen, dann musste es wirklich dringend sein.
    Wanninger tot? Zum ersten Mal zog ich in Erwägung, dass ihre Aussage stimmte. Ich sah ihr tief in die Augen. Das hatte auch seine Gründe. Es gab nämlich Tage, da war es schlimmer mit Großmutter, und es gab Tage, da war sie ziemlich normal. Und die Tage, an denen sie ziemlich normal war, hingen davon ab, ob sie ihre Medikamente regelmäßig genommen hatte. Ich sah es ihr immer an den Augen an. Wenn ihre Pupillen so tot und spitz waren, dann war das kein gutes Zeichen. Wenn es aussah, als hätte sie die Augen einer Porzellanpuppe. Kalt. Klar. Winzig. Zu keinem lebenden Wesen gehörend. Da widersprach man ihr besser nicht.
    Aber hier draußen war es viel zu hell, um sehen zu können, aus welchem Grund die Pupillen spitz waren.
    Was, wenn der Wanninger wirklich tot war? Und was, wenn die Polizei ausgerechnet unsere Weihwasserflasche neben der Leiche fand? Jeder im Dorf wusste, wem die alte abgeschabte Limonadenflasche voll Wasser gehörte. Dann Fingerabdrücke, DNS-Vergleich und so, und schon hatten wir den Salat. Wahrscheinlich war er aber gar nicht tot, und Großmutter hatte die Weihwasserflasche nur in der Kirche vergessen. Oder beim Metzger. Aber sicher war sicher.
    »Komm«, sagte ich nur und nahm Großmutter an der Hand.
    Es war im Herbst vor zwölf Jahren gewesen. Die Linden reckten ihre kahler werdenden Zweige in den blassblauen Herbsthimmel. Die Blätter waren so irrsinnig gelb, als wären sie kleine Lampen, fröhliche, vergängliche Lichter an dunklen Ästen. Die Bäume hatten Kreise von Laub um sich gebreitet, die sich viel zu gelb über die grüne Wiese ergossen, und winkten mit den restlichen Blättern hektisch in der schräg stehenden Sonne.
    Großmutter hatte unseren alten Holzrechen aus dem Schuppen geholt und begonnen, das Laub zu Haufen zusammenzurechen. Ich durfte mich dann, wie jedes Jahr, in diese Haufen werfen. Ich machte immer Schwimmbewegungen und wühlte mich in diesen Berg hinein, bis ich braune Hände, Haare und so viele krümelige Blätter im Haar hatte, dass ich aussah wie eine verrückte Einsiedlerin. Überdeutlich sah ich das herabgefallene Laub um mich herum. Jedes Blatt ein Unikat, etwas Besonderes, das immer mehr verfiel.
    Und um mich herum schien es zu tuscheln und zu wispern – der Pudschek. Der Pudschek.
    Die flüsternden Stimmen in meinem Kopf verdarben mir plötzlich den Spaß. Es war ein Gefühl, als versuchte ich etwas zu vergessen, was mir durch die leisen Stimmen jedoch nicht richtig gelang. Kaum war eine kleine Lage Sand über diese Erinnerung gestreut, blies jemand sie wieder weg, indem er den Namen Pudschek flüsterte.
    Dabei wusste ich noch genau, wie viel Mühe ich mir damals gegeben hatte, die Pudschek-Sache zu vergessen. Ich hatte es sogar geschafft. Aber das Gefühl, das hatte sich eingebrannt. Und statt der Erinnerung an die Pudschek-Sache kam nur das Pudschek-Gefühl hoch, was genauso schlimm war. Dieses unangenehme Gefühl, dass ich etwas vergessen wollte, aber nicht konnte. Ich hatte mich schuldig gemacht, das wusste ich. Es durfte keiner erfahren, das wusste ich auch. Und es hätte nicht passieren dürfen, nicht mir. Und auch sonst niemandem. Aber mir schon dreimal nicht. Und je mehr ich versuchte, nicht daran zu denken, desto mehr nahm dieses Gefühl überhand. Engte mir die Brust ein und nahm mir den Atem.
    Während ich damals so im Laubhaufen schwamm, merkte ich, dass es keinen Spaß mehr machte. Ich war zu alt, wie verrückt durch Blätter zu schwimmen.
    Vielleicht wisperten auch die Stimmen zu laut.
    Mir war sofort klar, dass Großmutter dieses eine Mal keine Halluzinationen hatte. Die Kirche dröhnte geradezu in einem schrägen Schlussakkord,
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