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In Ewigkeit, Amen

In Ewigkeit, Amen

Titel: In Ewigkeit, Amen
Autoren: Susanne Hanika
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ich ab. »Das wäre ja mit Kanonen auf Spatzen schießen.« Ich stand auf, stellte mich neben die Schaukel und schubste an.
    Großmutter runzelte die Stirn, sie schien sich ernsthaft Gedanken über das Problem zu machen. »Du hast recht. Spätestens beim nächsten Gottesdienst finden die ihn eh.« Mein Blick schnellte zu ihr hinüber. Beim nächsten Gottesdienst?
    »Wo ist denn die Leiche?«
    Großmutter antwortete nicht, sondern sah gedankenverloren in die Ferne. Na ja. Das war auch eine sehr dumme Frage. Wenn sie beim nächsten Gottesdienst gefunden werden würde, dann war sie wahrscheinlich in der Kirche. Und in der Kirche war es kühl. So schnell verdarben da Leichen nicht. Falls es wirklich eine Leiche geben sollte. Andererseits war es bestimmt Blasphemie, einen Toten in der Kirche rumliegen zu lassen.
    »Wer ist es denn?«, fragte ich misstrauisch.
    »Der Pudschek«, kam es wie aus der Pistole geschossen.
    Der Pudschek also. Es war ja nicht so, dass der Pudschek Pudschek heißen würde. Also nicht mal der Original-Pudschek hatte Pudschek geheißen. Der erste Pudschek war der Paul Andratschek gewesen, und kein Mensch hatte sich den Namen gemerkt. Er war gleich nach dem Krieg aus der Tschechei nach Bayern gekommen und hatte bei unserem Bäcker Asyl bekommen. Bei uns hatte er keine Arbeit gefunden. Er war nämlich Förster in der Tschechei gewesen. Aber wir hatten schon einen Förster, und zwei konnten wir nicht brauchen. Also hatte er das Amt des Organisten übernommen.
    Der Pudschek, den meine Großmutter vermutlich meinte, hieß Karl Wanninger. Die einzige Gemeinsamkeit zwischen Andratschek und Wanninger war, dass sie beide Orgel in unserer Kirche gespielt hatten. Aber unsere Dorfbevölkerung war bei der Namensgebung nicht so flexibel. Einmal Pudschek, immer Pudschek.
    »Der Pudschek also«, wiederholte ich. Die Frage war nur, welchen Pudschek meinte Großmutter jetzt. Der erste Pudschek, muss man wissen, war nämlich schon seit Jahren tot. Ich war mir nicht ganz sicher, wie ich ihr das beibringen sollte. Vielleicht war sie mental gerade in einer ganz anderen Lebensphase.
    »Aber er ist doch auch ein Christenmensch«, sagte sie schließlich. »Den kann man nicht einfach liegen lassen.«
    »Das ist auch wieder wahr«, antwortete ich undeutlich und gab der Schaukel einen so heftigen Schubs, dass sie an den Stricken auf – und abtanzte, statt gleichmäßig zu schwingen. »Vielleicht derrappelt er sich aber wieder. Und dann haben wir der Polizei nur unnötig Arbeit gemacht. Nicht wahr?«
    Meine Großmutter sah mich an, als wäre ich verrückt.
    »Der wird nimmer«, sagte sie nur. »Und pass’ mit der Schaukel auf. Wennst die ans Hirn kriegst, ham wir glei zwei Leichn.«
    Ich bemühte mich darum, ordentlich anzuschubsen. »Ach wo. Der wird schon wieder. Der ist noch immer geworden.«
    Meine Großmutter sah mich kopfschüttelnd an. Ich kam mir nach dieser Aussage auch etwas blöd vor. Denn in Wirklichkeit konnte ich mich an den Pudschek nicht mehr richtig erinnern. Und mir fiel auch kein Beispiel ein, wo der Wanninger wieder geworden wäre. Aber, wie gesagt, manchmal half es, wenn man meine Großmutter ablenkte. Ich überlegte mir krampfhaft, welches neue Thema ich anschneiden sollte.
    »Warst heute schon beim Weihwasserholen?«
    Sie nickte seufzend. »Ja. Aber ich hab’s stehen lassen.«
    »Hm.«
    »Direkt neben dem Pudschek. Und jetzt trau ich mich nicht richtig, die Flasche zu holen. Gehst mit?«
    »Der Pudschek tut keinem was«, schlug ich vor, aber tief in meinem Inneren spürte ich eine gewisse Unruhe.
    Eine Weile lang sagte sie nichts mehr und schien sich ernsthaft zu überlegen, ob sie sich vor dem Pudschek fürchten sollte oder nicht.
    »Hast recht. A Leich hat no nermd was dan.«
    Hm. Das hatten Leichen so an sich, dass sie nicht mehr viel machten.
    Ich gab keine Antwort. Wenn sie sich einbildete, dass der Pudschek tot war, dann war das wohl so. Ich gab der Schaukel noch einen letzten Schubs und wollte ins Haus gehen. Die Ahornblätter segelten freundlich herunter. An so einem Tag konnten unmöglich tote Pudscheks gefunden werden.
    »Wen rufst jetzt an? Den Max?«, fragte sie meinen Rücken.
    Max anrufen. Was für eine Idee! Max war bei der Polizei. Hauptkommissar, um genau zu sein. Und zufällig mein Freund. Und ich würde auf gar keinen Fall meinen Freund anrufen und ihm erzählen, dass der Pudschek, der vielleicht schon zwölf Jahre tot war, heute von meiner Großmutter tot gefunden worden
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