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Das weiße Amulett

Das weiße Amulett

Titel: Das weiße Amulett
Autoren: Kathinka Wantula
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Prolog
    Ägypten, 1305 vor Christi
    Das Gesetz der Maat war verletzt. Er hatte es nicht verhindern können.
    Man hatte den Pharao getötet.
    Cha-em-weset warf einen schuldbewussten Blick auf die in edles Leinen gewickelte Mumie, die gegen die Wand der kleinen Säulenhalle im tiefen Inneren des Grabes gelehnt stand. Die goldene Totenmaske schien ihn vorwurfsvoll anzusehen, die Obsidianaugen leuchteten dunkel, während er, der erste Hohepriester des Amuntempels, die Mundöffnungszeremonie durchführte. Von draußen hörte man dumpf das Weinen und Jammern der Klageweiber, die der langen Begräbnisprozession ins Tal gefolgt waren.
    »Ich bin der Sem-Priester der Götter«, murmelte Chaem-weset, »der kennt, was in ihrem Leib ist. Ich bin hierher gekommen, um die Maat zu bezeugen, um die Waage ins Gleichgewicht zu stellen im Totenreich.«
    Mit dem rituellen Stab berührte er den Mund und die Nase der Totenmaske, während seine Gedanken woanders weilten. Es war für dich noch nicht an der Zeit, den Weg der Pforten zu gehen, trauerte der Hohepriester um den verstorbenen Pharao, der sein Freund gewesen war. Aber sei unbesorgt. In deinen Leinen liegen alle wichtigen Amulette und Papyri mit Zaubersprüchen, die dich auf dem Weg durch die Unterwelt schützen. Dein Herz wird nicht vom Untier gefressen werden, wenn es vor Osiris auf der Waage gegen die Feder der Maat gewogen wird. Dein Herz ist rein und wird die Prüfung bestehen. Du wirst leben bis in alle Ewigkeit.
    Mit Wehmut dachte Cha-em-weset an die Inthronisierung seines Freundes im Tempel von Weset, wo der Pharao sich zu Osiris’ Stellvertreter auf Erden erklärt hatte. Zahlreiche überlebensgroße Statuen vor dem Tempel zeugten von seinem starken Ka.
    Und doch hatte er, Cha-em-weset, ihn nicht schützen können. Er hatte versagt.
    Neben ihm stand Ramses, der heilige Sprüche murmelte.
    »Ich bin THOT, der Wissende,
    der das Morgen verkündet und die
    Zukunft ausspäht,
    ohne sich irren zu können;
    der Himmel, Erde und Unterwelt leitet
    und die Himmelsbewohner leben lässt.
    Ich gebe Atem dem, der im Geheimen ist,
    durch die Zaubersprüche, die in meinem
    Mund sind,
    damit OSIRIS über seine Feinde
    triumphiert.«
    Cha-em-weset warf Ramses einen Seitenblick zu und dachte: Der neue Pharao ist ein guter Regent. Er führt deinen Weg fort und belebt das Ansehen der alten Götter, so wie du es getan hast. Er ist der richtige Mann, der Kemet wieder zu einem blühenden, mächtigen Land machen wird. So wie es zu unserer Kinderzeit einst war.
    Damals, vor so unendlicher Zeit, als wir im großen Palast deines Vaters Thutmosis, ewig möge er leben, spielten.
    »Alle Götter sind in Jubel, wenn sie dich als König des Himmels erblicken: die Uräus-Schlange an deinem Haupt befestigt, die ober- und unterägyptische Krone an deinem Scheitel, sie hat an deiner Stirne Platz genommen. THOT steht fest am Bug deiner Barke und bestraft alle deine Feinde.«
    Cha-em-weset blickte grimmig auf die mit Lapislazuli und Fayencen ausgelegte Totenmaske, die trotz des alten überlieferten Stils die jungenhaften Gesichtszüge seines Freundes trug.
    Möge Thot mich zu seinem Werkzeug machen, auf dass ich deinen Mörder finde und ihn töte – bis in alle Ewigkeit!

1
    Hamburg
    Ihre Seele suchte eine neue Herausforderung, das wusste er. Deswegen hatte er Karen angerufen, und deswegen war sie jetzt hier.
    Julius Reinhold stand an einem der großen Fenster seines Büros mit wunderschönem Blick auf die Außenalster und überlegte, wie er es ihr am besten sagen sollte.
    Er stand dort schon seit mehreren Minuten, so wie er es immer machte, um sich zu entspannen und seinen Gedanken einen Moment Ruhe zu gönnen.
    Das Wetter war durchweg sonnig an diesem Spätsommertag im August, und nur selten flogen weiße Wolken am klaren blauen Nordhimmel vorüber. Draußen war es heiß, aber das alte Backsteinhaus ließ die Hitze nicht durch.
    Hinter Julius öffnete sich die alte Eichentür, und er drehte sich um. Ein Lächeln flog über sein Gesicht, als er sein Patenkind sah.
    »Karen, meine Liebe. Komm herein.«
    Eine junge Frau Anfang dreißig mit schulterlangen kastanienbraunen Locken trat in das holzvertäfelte Büro und umarmte ihren Patenonkel zur Begrüßung. Er deutete auf den mit schwarzem Leder bezogenen Sessel vor seinem Schreibtisch und nahm ihr gegenüber in einem großen Lehndrehstuhl Platz.
    »Wie geht es dir?«
    Sie strich sich die Haare aus der Stirn und setzte sich in den altgedienten Sessel.
    »Gut,
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