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In Ewigkeit, Amen

In Ewigkeit, Amen

Titel: In Ewigkeit, Amen
Autoren: Susanne Hanika
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der jeden Ton des Manuals zu einem dissonanten Posaunenklang vereinigte.
    Mein Gott, dachte ich mir. Der Pudschek.
    Der Klang war so gewaltig, dass er meinen gesamten Körper ausfüllte. Selbst mein Blinddarm schien zu vibrieren. Der tiefste Ton, dort, wo Wanningers Fuß unbeirrt auf dem Pedal stand, hatte in meinem Körper eine Resonanzfrequenz erwischt, die tief in meinem Bauch ein Wummern auslöste und eine Gänsehaut nach der anderen über meinen ganzen Körper jagte. Als wäre ich ein Klangstab, dem man einen zu heftigen Stoß gegeben hatte.
    Vielleicht war er ja gar nicht tot, versuchte ich mich zu beruhigen. Das machten Organisten ja gerne. Die letzten donnernden Akkorde, die immer langsamer und intensiver wurden. Und dann der allerletzte Akkord. Das Finale, wo man als richtiger Orgelspieler über dem Manual zusammenbrechen musste, um für einige Minuten die monumentalen Klänge auszukosten.
    Das machte auch der Wanninger sehr gerne. Außer es war Fußballweltmeisterschaft und er wollte dringend nach Hause vor den Fernseher. Da hüpften seine Füße behände über die Pedale und hielten sich nicht weiter mit einem furiosen Schlussakkord auf.
    Aber dieser Klang dauerte selbst für einen guten Organisten zu lange.
    »Geh nur zu«, sagte Großmutter hinter mir, »und mach vor dem Altar ein Kreuzzeichen.«
    Natürlich machte ich ein Kreuzzeichen. Obwohl ich mich am liebsten umgedreht hätte und aus der Kirche geflohen wäre. Mein Körper fühlte sich plötzlich an, als hätte er nur noch einen ganz kleinen warmen Kern und alles andere wäre eiskalt, mit einer riesigen Gänsehaut überzogen, die wellenartig durch alle Gliedmaßen wogte.
    Die Tür zur Orgel hoch stand sperrangelweit offen, als wäre jemand gerade erst durchgegangen. Staubiger, muffiger Geruch kam uns entgegen.
    Im Aufgang zur Orgel schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Genauso hatte es vor zwölf Jahren gerochen, als ich noch jeden Sonntag diese Treppe nach oben gestiegen war. Aber nicht nur der Geruch war identisch. Noch immer standen gleich neben der Tür die Vorratspackungen an weißen Kerzen. Und dahinter der Putzkübel mit einem alten, grauen Putzlumpen (der alte Hadern, den schon meine Großmutter dem früheren Mesner vor die Füße gepfeffert hatte, weil er sich über ihre Art zu putzen mokiert hatte). Ganz an die Wand geschoben waren zwei alte Holzleitern und davor die Erntekrone. Überdimensional aus verstaubten Ähren und gebleichten Blumen. Großmutter schob mich daran vorbei, weil ich immer langsamer wurde. Und dieser Geruch. Dieser Geruch, wie er sich nur im Aufgang zur Orgel findet. Diese Mischung aus staubigem Getreide, Kerzenwachs und schlecht trocknenden, nicht allzu sauberen Putzlumpen. Es dröhnte so laut im Orgelaufgang, dass ich schon wusste, dass die Tür oben weit offen stehen musste. Fast wäre ich umgekehrt, aber Großmutter drückte mich sozusagen nach oben. Meine Gänsehaut sammelte sich an den Oberschenkeln und an den Unterarmen, als ich die Orgel ins Blickfeld bekam.
    Da saß er, der Pudschek. Also der Wanninger-Pudschek. Vornübergebeugt drückte er mit seinem Kopf und dem Oberkörper fast die gesamte Tastatur von zwei Manualen nieder. Und wie es schien, hatte er noch Zeit gehabt, sämtliche Register zu ziehen, um seinem Tod eine wirklich voluminöse Begleitmusik zu verleihen.
    »Vielleicht war es ja ein Herzinfarkt«, schlug ich vor und schielte vorsichtig zu der gekrümmten Gestalt auf der Orgel. Die Orgel pfiff und arbeitete wie verrückt. Ich überlegte mir kurz, ob ich nicht wenigstens ein paar Register wieder hineinschieben sollte, damit es nicht ganz so laut war.
    »Da hätte ich auch einen Herzinfarkt«, trompetete Großmutter, um die Orgel zu übertönen. »Bei dem Trumm Messer.« Sie machte neben mir ein Geräusch, das wie tststs klang. Es war wegen der Orgel schlecht zu hören, aber sie sah nicht so aus, als fände sie es daneben, einen Organisten beim Orgelüben niederzustrecken. Sie sah eher aus wie jemand, dem man die ganze Nachmittagsplanung durcheinandergebracht hat.
    Bei dem Trumm Messer? Ich schielte etwas genauer auf den breiten Rücken und entdeckte tatsächlich einen Messergriff, der in dem karierten Hemd steckte. Ich atmete noch einmal tief ein, um nicht sofort umzukippen.
    »Weil er auch seinen Janker auszogen hat«, sagte Großmutter und schüttelte schon wieder den Kopf. »So eine Jacke ist doch immer ein guter Schutz. Mich würd’s nicht wundern, wenn er eine Nierenbeckenentzündung
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