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In einer Person

In einer Person

Titel: In einer Person
Autoren: John Irving
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nicht bluts verwandt«, versuchte
ich zu erklären. (Nicht einmal Onkel Bobs permanenter Blutalkoholpegel konnte
das Fehlen von Winthrop-Blut in seinen Adern kaschieren.)
    »Ihr seid euch überhaupt nicht ähnlich !«,
hatte Tom festgestellt. »Bob ist so was von nett und
so unkompliziert.«
    Stimmt schon, Tom und ich hatten uns in jenem Sommer eine Menge
gestritten. Wir hatten eins der Queen -Sowieso-Schiffe
von New York nach Southampton genommen (zum Studententarif), hatten den Ärmelkanal
Richtung Ostende überquert, und die erste europäische Stadt, in der wir
übernachteten, war das mittelalterliche Städtchen Brügge gewesen. (Brügge war
sehr schön, aber mich faszinierte ein Mädchen, das in unserer Pension
arbeitete, weit mehr als der Glockenturm auf der alten Markthalle.)
    »Wahrscheinlich hattest du vor, sie zu fragen, ob sie eine Freundin
für mich hat«, sagte Tom.
    »Wir sind bloß überall in der Stadt spazieren gegangen – und haben
ganz viel geredet«, erzählte ich ihm. »Wir haben uns kaum geküsst.«
    [34]  »Ach ja, wirklich?«, fragte Tom. Als er später bemerkte, Onkel
Bob sei »so was von nett und so unkompliziert«, nahm ich daher an, er wolle
damit sagen, ich sei nicht nett.
    »Ich hab nur gemeint, dass du kompliziert bist, Bill«, erklärte mir
Tom. »Du bist nicht so lässig wie Bob, der Mann von der Zulassungsstelle,
oder?«
    »Ich fass es nicht, dass du wegen dieses Mädchens in Brügge sauer
auf mich bist«, erklärte ich ihm.
    »Du hättest sehen sollen, wie du auf ihre Titten geglotzt hast –
obwohl die nichts Besonderes waren. Du musst wissen, Bill, die Mädchen merken es, wenn du ihnen auf die Titten guckst«, erklärte
mir Tom.
    Aber das Mädchen in Brügge bedeutete mir nichts. Ihre kleinen Brüste
hatten mich nur an das Auf- und Abhüpfen von Miss Frosts überraschend
jungmädchenhaftem Busen erinnert, und über Miss Frost war ich noch nicht
hinweg.
    Ach ja, die Zeiten ändern sich, und sie ändern sich unsanft im
rauhen Klima der Kleinstädte im nördlichen New England. Die erste
Rollenbesetzung, deretwegen es Richard Abbott in unser Kleinstadttheater
verschlug, änderte sogar die bis dato übliche Besetzung der Frauenrollen. Vom
ersten Moment an stand zweifelsfrei fest, dass Richard Abbotts Repertoire
sämtliche Rollen abdeckte, die nach flotten jungen Männern, bösen (oder einfach
spießigen) Ehemännern oder nach verschlagenen Liebhabern verlangten; und die
als seine Bühnenpartnerinnen erwählten Frauen mussten ihm gewachsen sein.
    Das warf ein Problem für Grandpa Harry auf, der in [35]  naher Zukunft
Richards Schwiegervater werden sollte: Grandpa Harry war einfach zu sehr die
ältere Frau, um für Liebeshändel mit einem attraktiven jungen Mann wie Richard
auch nur in Frage zu kommen. (Keine Bühnenküsse zwischen Richard Abbott und
Grandpa Harry!)
    Meiner Tante Muriel sollte es, wegen ihrer erhaben klingenden
Stimme, aber hohlköpfigen Verfassung, ein noch viel größeres Problem bereiten.
Richard Abbott war zu sehr der Typ Hauptdarsteller für sie. Sein Auftritt bei
jener allerersten Rollenbesetzung stutzte sie auf Normalmaß zurück: verklemmtes
Gebrabbel und Gezappel. Später behauptete meine am Boden zerstörte Tante,
bemerkt zu haben, dass meine Mutter und Richard »auf den ersten Blick hin und
weg voneinander« waren. Muriel hätte es hoffnungslos überfordert, sich eine
Liaison mit ihrem Schwager vorzustellen – selbst auf der Bühne. (Noch dazu,
während meine Mutter ihnen soufflierte !)
    Mit dreizehn merkte ich wenig von der Bestürzung meiner Tante
darüber, (zum ersten Mal) einem Mann vom Typ Hauptdarsteller begegnet zu sein;
ebenso wenig, dass meine Mutter und Richard Abbott »auf den ersten Blick hin
und weg voneinander« waren.
    Grandpa Harry nahm den jungen Mann und neuen Lehrer an der Favorite
River Academy charmant und vorbehaltlos herzlich auf. »Wir sind immer auf der
Suche nach jungen Schauspieltalenten«, versicherte er ihm begeistert. »Sagten
Sie nicht, Sie unterrichten Shakespeare ?«
    »Ich unterrichte und inszeniere ihn«,
antwortete Richard meinem Großvater. »Natürlich gibt es an einer reinen
Jungenschule gewisse Probleme beim Theaterspielen – doch [36]  ob Junge oder Mädchen, am besten verstehen sie Shakespeare, wenn sie
seine Stücke aufführen.«
    »Mit ›Probleme‹ meinen Sie vermutlich, dass die Knaben die
Frauenrollen spielen müssen«, sagte Grandpa Harry verschmitzt. (Bei seiner
ersten Begegnung mit dem Sägewerksbesitzer
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