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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie
Autoren: Heinrich Mann
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Bewegung.
    »Du hast es zu leicht gehabt mich zu überreden.
    Und dann, wer in Vergessenheit und Leichtsinn
    Wunden geschlagen hat, ist selbst der Allernächste
    dazu, sie zu verbinden – wenn er nicht eintretenden
    Falles Mörder heißen will.«
    Die letzten, hart und grausam gesprochenen
    Worte machten die junge Frau zusammenfahren, die
    sich dichter an den Mann schmiegte, als drängte sie
    ihn ängstlich, diese Selbstanklage zurückzunehmen.
    Als er sich aber zu ihr wandte, schlug sie dennoch
    den Blick nieder und bot ihm so die Hand zu einem
    Druck voll Verständnis und Zärtlichkeit.
    So war die anfängliche Stimmung, die alsbald der
    Bearbeitung des Lebens unterworfen wurde. Dieses
    aber verfährt so seltsam eigenmächtig mit allen un-
    sern Eindrücken und Erlebnissen, von denen es die
    kleinsten in der Erinnerung wachsen und an Reiz
    oder Schrecken gewinnen lassen kann, während es
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    den großen stets etwas von ihrer Macht nimmt und
    sie zuweilen fast unwirksam macht. Unter der fort-
    währenden Reibung des Alltagslebens zog sich die
    Erinnerung der Schuld aus den Gedanken und dem
    täglichen Bewußtsein zurück, um auf dem Seelen-
    grunde liegen zu bleiben, von dem sie endlich selbst
    nur noch einen Teil ausmachte. Und da es kein
    Glück ohne Reue geben kann, so diente dieser leise,
    leise Zusatz von Bitternis dazu, ihre Liebe vor dem
    faden Geschmack der Gewohnheit zu bewahren, sie
    zu befestigen: Doras Opfer war nicht unfruchtbar
    geblieben.
    Der Sommer ist voll raschen, vollen Lebens ver-
    strichen. Auf häufigen Ausflügen, auf’s Land und in
    den Wald, am liebsten auf Ruderfahrten, haben die
    Glücklichen jedem Element, jeder Landschaft die
    eigentümliche Stimmung abgelauscht, welche sie für
    Liebende bereit halten, froh, der ganzen Natur ihre
    Liebe mitzuteilen und das Echo von ihr zurückzuer-
    halten. Nun sitzen sie gern an schönen Herbstaben-
    den auf der Terrasse ihres Hauses, wenn beim Un-
    tergange der Sonne, die von dem Wasser drunten am
    Abhange des Gartens mit einem bezaubernden
    Glanz von vergoldetem Violett Abschied nimmt,
    tausend Blumen dem Licht und der Wärme, die sie
    belebt haben, duftende Grüße nachsenden. Dann
    und wann ein leises Rauschen in den Zweigen, von
    denen sich ein paar gebräunte Blätter lösen, um lang-
    sam zu Boden zu rascheln, macht die Luft nur noch
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    stiller, den Abend friedlicher. Die beiden Menschen
    lieben mehr als je diesen Frieden, da sie seit wenigen
    Tagen wissen, daß sie nicht mehr al ein sind in ihrem
    Bunde. Es ist, als habe dieser erst jetzt, da er gerei-
    nigt und erneuert ist, gesegnet werden sollen. Wenn
    sie es wagen, die große Stille zu unterbrechen, so
    thun sie es, um von ihrem Kinde zu sprechen, »von
    unserm Jungen«, denn sie wünschen Beide, Anna
    fast inniger als ihr Gatte, daß es ein Knabe sein
    möge. Mit dem zuversichtlichen Blick auf die Zu-
    kunft, der außer Verliebten nur jungen Eltern eignet,
    setzen sie sich bereits über ihre Erziehungsgrund-
    sätze auseinander.
    »Ich überlasse ihn ganz Dir« sagt Wellkamp. »An
    dem, was Du aus ihm machst, werde ich mich auf al e
    Fälle erfreuen können. Das wird der beste Dienst
    sein, den ich unserm Jungen erweisen kann.«
    »Du willst ihn zum Muttersöhnchen machen?«
    wendet Anna lächelnd ein.
    »Du brauchst es nicht eben so zu nennen. Der
    weibliche Einfluß, der mir gefehlt hat, ist ganz allein
    im stande, in der ersten Jugend das Gewissen zarter,
    die Ehrfurcht größer, den Geschmack feiner zu ma-
    chen. Ich meine, daß gegen solche Wirkungen alle
    etwaigen Nachteile unbedeutend erscheinen müs-
    sen.«
    »Weißt Du, was ich einleuchtend fände? Wenn es
    Dir gleicht, so habe ich seine hauptsächliche Leitung
    zu übernehmen; ist er dagegen mir ähnlich, so liefere
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    ich ihn ohne Umstände Dir aus. So erreichen wir
    vielleicht eine natürliche Ergänzung seiner Anla-
    gen.«
    Wellkamp hat indes seinen Gedanken festgehal-
    ten.
    »Hältst Du es für möglich« fragte er nachdenk-
    lich, »daß nach uns eine Generation von Männern
    käme, die wieder einfacher, lebensfreudiger und in
    einem Glauben besser gegründet wären als wir heu-
    tigen?«
    Anna nickte ihm zu.
    »Du sagst mir, daß ihr Alle die Sehnsucht nach
    dem Glauben kennt. Das ist augenscheinlich die
    letzte Spur von dem, was schon eure Großväter zu
    verlieren begannen. Aber sollte es nicht zugleich die
    beste Vorbereitung sein, daß eure Söhne und Enkel
    es wiederfinden? Denn die geistige Bewegung
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