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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie
Autoren: Heinrich Mann
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verstummt! Und doch, so schlicht und
    gegeben solch Glück als Wirkung der Ursache er-
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    scheint, daß zwei Menschen, die an ihre Zusammen-
    gehörigkeit glauben gelernt haben, sich hierüber
    verständigten: wie viele der verschiedensten Emp-
    findungen, Gedanken, Wünsche, Hoffnungen, viel-
    leicht mit einem frohen Aufatmen, vielleicht im Ge-
    genteil mit einer unbestimmten Beklommenheit ver-
    bunden, wirken zusammen, solch eine scheinbar
    durchsichtig einfache Stimmung hervorzubringen!
    So konnten auch hier das junge Paar wie der Vater in
    ihren Erwägungen und ihren Gefühlen sehr ver-
    schieden gestimmt sein, während ihre Mienen das
    gleiche, schlichte, unzusammengesetzte Glück ver-
    kündigten.
    Anna Grubeck wußte von ihrem neuen Verlob-
    ten im Grunde nicht viel neben dem, was sie selbst
    in dieser Zeit täglichen Verkehrs an ihm wahrge-
    nommen. Er war wohlhabend, wenn nicht reich,
    und jedenfalls im stande, ihr eine unabhängige Stel-
    lung zu geben. Sie war zu sehr gewohnt, alles mit
    praktischen Blicken anzusehen, um dies nicht anzu-
    erkennen, auch jetzt, wo ihre Empfindung lauter zu
    sprechen bemüht war als jede Überlegung. Denn sie
    liebte ihn und wußte dabei, daß das Gefühl einer
    gewissen Überlegenheit, welches ihr Verkehr mit
    ihm sie gelehrt hatte, nicht den unbedeutendsten
    Anteil daran hatte, wenn sie sich zu ihm hingezo-
    gen fühlte. Die Art ihrer Überlegenheit war ihr un-
    bekannt geblieben, ebenso wie sie die Ursache sei-
    nes Hanges, sich ihr in jeder Frage mit Ehrerbie-
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    tung und mit einer merklichen Genugthuung un-
    terzuordnen, nicht zu deuten wußte. Nur hatte ihr
    der weibliche Instinkt alsbald verraten, daß etwas
    anderes als einfache Ritterlichkeit in seinem Betra-
    gen zu suchen sei.
    Bei ihrem Vater herrschte die Freude über die
    nahe Aussicht vor, den unhaltbaren Zuständen in
    seiner Familie ein Ende gemacht zu sehen. Zu allem
    Unglück, welches seine zweite Ehe herbeigeführt,
    hatte sie begonnen, seine Tochter zu isolieren. Es
    war gut, daß diese dem Kreise der Frau, mit der ein
    Zusammenleben auf die Dauer für sie nicht denkbar
    war, schon jetzt entrückt werden sollte. Mit dem
    Schwiegersohn war der Major einverstanden. Sein
    Alter wie seine pekuniäre Freiheit sagten ihm zu,
    auch war er ein liebenswürdiger und korrekter
    Mann.
    Anders empfand der junge Mann selbst, durch
    dessen Annäherung an eine Familie so mannigfache
    Veränderungen hervorgerufen werden sollten.
    In dem Augenblick, da Wel kamp an der Tafel des
    Kurhauses ein Gespräch mit seiner stillen und ern-
    sten Nachbarin angeknüpft, hatte er erkannt, daß ein
    Verkehr mit ihr im stande sein könnte, ihn aus dem
    Zwange zu befreien, in dem ihn eine lange Vergan-
    genheit und am unerträglichsten eine letzte Erfah-
    rung hielt.
    Denn die Erinnerung an das Berliner Abenteuer,
    dem er sich kaum entrissen, hatte ihn hierher ins Ge-
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    birge verfolgt. Es war ihm gewesen, als hafte an sei-
    nen Händen noch immer der entnervende Duft die-
    ses Frauenhaares, in das er sich eingekrallt, wenn
    zwischen ihm und ihr der Kampf tobte, den diese
    ganze seltsame Liebe bedeutet hatte. Auch hatte er
    unaufhörlich das schrille Lachen des Mädchens zu
    hören gemeint, wie sie ihm zum Abschied nachrief:
    »Geh doch! Du kommst ja doch wieder!« Und wie
    vielmal war er im Begriff gewesen, zu packen, um die
    Fesseln wieder auf sich zu nehmen, die er nicht mehr
    entbehren konnte.
    Ursprünglich war es eine unbeabsichtigte, flüch-
    tige Begegnung. Das Mädchen war ihm gleich an-
    fangs unsympathisch gewesen und sie war es immer
    geblieben. Aber wie sie ihn am ersten Abend durch
    eine eigentümliche Frechheit und Sorglosigkeit zu
    gefallen, zugleich reizte und abstieß, in eben solcher
    Weise hatte sich das Verhältnis zwischen ihnen fort-
    gesetzt. Stets unleidlicher war es ihm geworden, und
    stets unmöglicher war ihm gleichwohl ein Bruch er-
    schienen. Der kurze Aufenthalt in Berlin, den er be-
    absichtigt, war zu mehr als einem halben Jahre ver-
    längert, als es die Szene zwischen ihnen gab, die er
    sich nie zugetraut hätte. Er hatte sich auf ihm selbst
    unbegreifliche Weise eine augenblickliche Überle-
    genheit abgerungen, aber wer war der eigentliche
    Sieger? Er mußte auf seiner Flucht und später noch
    ihre Schönheit vor Augen sehen, die ihm nie so tri-
    umphierend und dabei so niedrig erschienen war wie
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    zuletzt, als sie ihm nachrief: »Geh doch! Du
    kommst ja doch wieder!«
    Jener Tag, als er mit
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