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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie
Autoren: Heinrich Mann
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feucht.
    »Ich wußte es ja, daß ich Bowlen nicht mehr ver-
    trage«, beteuerte er. »So ein unnatürliches Gemisch!
    – Aber was thut man nicht für seine Familie!« fügte
    er hinzu.
    »Übrigens habe ich bereits telegraphiert«, sagte
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    der alte Herr, als man sich zum Thee niederließ,
    worauf Wellkamp, um weiteren Fragen zu entgehen,
    flüchtig entgegnete, daß auch er seine Depesche auf-
    gegeben habe.
    Es erübrigte nur noch kurze Zeit bis zur Abfahrt.
    Indes stattete man der Molkenhalle noch einen Be-
    such ab. Aus dem letzten Becher der frischen, her-
    ben Kräutermilch trank Anna lächelnd »auf die
    Zukunft«. Wellkamp fand trotz seiner Niederge-
    schlagenheit, daß vielleicht etwas ähnliches ihm zu-
    gestanden hätte. Aber dann erfrischte und ermutigte
    es ihn, an seiner Braut die frohe Zuversicht zu be-
    merken, welche in ihrer Miene lag und zugleich in
    ihren kräftigen Formen ausgeprägt schien, die der
    mit dem Glase emporgehobene Arm vorteilhaft zur
    Geltung brachte.
    Auf der Wagenfahrt zur Bahnstation Gmünd be-
    gann sich bei allen drei bereits die Abschiedsstim-
    mung bemerkbar zu machen. Der Major mochte
    überdies durch die nahe Aussicht des Wiederein-
    tritts in seine ungeliebte Häuslichkeit bedrückt wer-
    den. Indes kam unter der fortwährenden Berührung
    des sanften, frischen Morgenwindes und bei dem re-
    gelmäßigen, einwiegenden Geräusch der Pferdehufe
    nach kurzer Zeit seine Müdigkeit zum Durchbruch.
    Wie das Haupt des alten Herrn tiefer auf seine
    Brust sank, und seine Atemzüge hörbarer wurden,
    überkam die ihm gegenübersitzenden jungen Leute
    das ihnen bisher unbekannte Gefühl der engsten Zu-
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    sammengehörigkeit, das durch ein erstes Alleinsein
    hervorgerufen wurde. Ohne diese Stimmung durch
    ein Wort zu stören, wurden sie ihrer erst ausdrück-
    lich inne, als sich ihre Hände auf dem Polster zwi-
    schen ihnen unbewußt zusammenfanden. Nach ge-
    raumer Zeit endlich that Wellkamp, indem er die
    schmale Hand, auf welcher er die seine ruhen gelas-
    sen, leise streichelte, ohne indes seine Nachbarin an-
    zusehen, eine Frage, für die sich, wenn sie jetzt ver-
    säumt wurde, vielleicht nicht sobald eine Gelegen-
    heit wiederfand.
    »Du mußt mich nun«, sagte er, indem sich das Be-
    mühen in seiner Stimme aussprach, eine schwierige
    Angelegenheit leichthin und in vertraulicher Weise
    zu erledigen, – »Du mußt mich nun ein wenig über
    eure häuslichen Verhältnisse unterrichten; es geht
    nicht wohl an, daß ich gar so unwissend in euern
    Kreis eintrete, man stößt dann leicht an, weißt Du?
    Also was ist es mit dieser zweiten Ehe, über die der
    Papa so ungern spricht?«
    Die schnelle und fertige Antwort deutete an, daß
    Anna die Aussprache, welche ihr Verlobter herbei-
    führte, vorausgesehen hatte.
    »Siehst Du, Erich«, erwiderte sie, »wer an den un-
    freundlichen Zuständen in unserer Familie die
    Schuld trägt, darüber möchte ich nicht urteilen. Viel-
    leicht hat der arme Papa in allerbester Absicht, bloß
    aus Besorgnis um mich und meine Bequemlichkeit,
    einen Fehler begangen. Das kleine Vermögen meiner
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    Mutter hatte Papa in den ersten Jahren nach ihrem
    Tode« – sie stockte einen Augenblick – »glaube ich
    verloren. Und als er nun vor drei Jahren auch noch
    seinen Abschied nehmen mußte, waren seine peku-
    niären Verhältnisse so schwierig, daß er sich zu einer
    zweiten Heirat entschloß, nur weil er darauf be-
    stand, mir den Komfort zu bieten, den er für unent-
    behrlich hielt. Ich hätte ihm darin wohl widerspre-
    chen sollen, aber – mein Gott, ich war damals ein
    dummes Ding! – Es ist erstaunlich, wie rasch ent-
    wickelt man sich in meinem Alter finden kann.«
    Nach dieser philosophischen Parenthese, mit der
    sie eine nachdenkliche Pause ausgefüllt, schien sie
    eine Zwischenbemerkung des Hörers zu erwarten.
    Als Wel kamp jedoch schwieg, fuhr sie mit einem lei-
    sen Seufzer fort.
    »Wie gesagt, ich möchte die Frau nicht anklagen,
    obwohl sie mich haßt, und ich sie nicht liebe. Papa
    und sie können einander eben nicht verstehen, das
    ist alles. Wie soll ich sie Dir beschreiben, Du wirst
    sie ja kennen lernen. Oder vielmehr«, setzte sie rasch
    hinzu, »auch Du wirst sie nicht kennen lernen. Sie ist
    jedem unverständlich, und das genügt doch wohl
    schon, um kein rechtes Einvernehmen aufkommen
    zu lassen. – Denke doch, könntest Du etwa eine Frau
    auf die Dauer – lieben, die Du nicht verstehen könn-
    test? – Mich wenigstens
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