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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie
Autoren: Heinrich Mann
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welche der Ort seiner er-
    neuerten, glücklicheren Existenz sein sollte, zuver-
    sichtlicher und harmonischer stimmte. Er sah jetzt
    mit aller Bestimmtheit nur den einen Weg vor sich,
    den er zu gehen entschlossen war, und an dessen
    Ausgangspunkt er sich bereits befand. So fühlte er
    sich der Erwägung weiterer Möglichkeiten und der
    Notwendigkeit, einen Entschluß zu fassen, welche
    für Naturen seiner Art das stärkste Hindernis ist,
    das sie auf ihrer Bahn antreffen können, überhoben.
    Er legte die wenigen Schritte, welche die Gru-
    becksche Wohnung vom Union-Hotel trennten,
    rasch zurück, indes er zufriedene und interessierte
    Blicke die Reichsstraße auf- und absandte, deren
    durch elegante und solide Luxusbauten bestimmte
    Physiognomie trefflich zu seinen Empfindungen
    und Wünschen stimmte.
    So ward er doppelt unangenehm berührt durch
    einen jener böswilligen Zufälle, welche unsere muti-
    gen und fruchtbaren Stimmungen zu unterbrechen
    lieben, bevor wir ihnen noch die gewünschte Rich-
    tung zu geben, sie zu Handlungen auszunutzen ver-
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    mocht, und welche uns immer wieder gleich unvor-
    bereitet treffen, obwohl sie so häufig sind. Wel kamp
    hatte das stattliche, vornehm aussehende Gebäude
    betreten, das augenscheinlich eines von denen war,
    in welchen das reisende England sein unentbehr-
    liches boardinghouse findet. Aus der im Hausflur
    angebrachten Tafel ersah er, daß sich im ersten Stock
    die von ihm gewünschte Adresse befand. Als er aber
    einen vorübergehenden Groom anhielt, erfuhr der
    junge Mann, daß die Herrschaften, der Herr Major
    mit dem gnädigen Fräulein, ausgeritten seien; ihre
    Rückkehr sei unbestimmt, es könne aber bald sein.
    Wellkamp hatte in seinem Ärger über diesen un-
    vorhergesehenen Aufenthalt keine Lust, umzukeh-
    ren, um zu gelegenerer Zeit wiederzukommen. Er
    beschloß, gleichwohl hinaufzugehen, um seine
    Braut und ihren Vater zu erwarten. Übrigens hatte er
    sich schon auf dem Wege, in seiner freudigen Erwar-
    tung, ein Bild nach seiner Laune von dem Interieur
    hergestellt, welches er jetzt betreten wollte, und
    worin er sich bereits seiner Braut gegenübersah.
    Auch die Begrüßung hatte er sich zurechtgelegt, die
    einzelnen Worte in seinem Ohre klingen gehört. So
    mochte die Unlust, allen diesen Vorstellungen kurz-
    weg den Rücken zu wenden, sein Bleiben hinrei-
    chend erklären. Wenn er indes selbst keinen andern
    Grund dafür wahrnahm, so war es doch sicher, daß
    er droben bei der Meldung des Dieners, die gnädige
    Frau sei daheim, leise zusammenschrak, als sei ihm
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    eine heimliche Erwartung bestätigt. Einen Augen-
    blick sah er unschlüssig auf das weiße Schild an der
    Thür, welches den Namen »v. Grubeck« trug; dann
    gab er den Auftrag, ihn zu melden.
    Während er dem Diener folgte, glaubte er sich
    wundern zu müssen, weshalb er den ganzen Morgen
    noch mit keinem Gedanken sich mit der Frau be-
    schäftigt, welcher doch jene letzte Unterredung mit
    seiner Braut gegolten hatte. Er war noch nicht ein-
    mal dazu gelangt, sich eine bestimmte Vorstellung
    von ihrem Äußern zu bilden, was sonst in Fäl en, wo
    man ihn auf eine neue Bekanntschaft vorbereitet
    hatte, in seiner Gewohnheit lag. Er wußte nicht, daß
    gerade die Wahrnehmung des Ungewissen, welches
    für ihn um diese Frau gebreitet lag, ein stärkeres In-
    teresse bezeugte, als er sich selbst zugab.
    Aus einem von der Morgensonne hell und freund-
    lich erfüllten Vorzimmer war er in ein kleines Bou-
    doir getreten, dessen dämmeriges Licht ihn, sobald
    die schwere Portière hinter ihm zusammengeglitten,
    in den ersten Augenblicken nichts erkennen ließ. In-
    des sagte ihm eine Empfindung, welche durch eine
    nur geahnte, keinesfalls festzustellende körperliche
    Berührung veranlaßt schien, daß er sich nicht allein
    im Zimmer befinde. Wirklich entdeckte er, als er sich
    einigermaßen an die Beleuchtung gewöhnt, daß aus
    einem Winkel hervor der Blick zweier seltsamen
    Augen auf ihn gerichtet war. Dieser verschleierte und
    zugleich durchdringende Blick, der hinter fast ge-
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    schlossenen Lidern alles auffing, was sich ihm nä-
    herte, ohne selbst einer Beobachtung zugänglich zu
    sein – dieser Blick wanderte wie mit langen, tastenden
    Spinnenfüßen auf Gesicht und Gestalt des jungen
    Mannes umher, den seine Berührung in eine nervöse
    Ungeduld versetzte. Es war ihm, als thäte man ihm
    Gewalt an und als müßte er sich ihrer erwehren, ohne
    doch ausdrücklich zu wissen, worin sie
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