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Menschenteufel

Menschenteufel

Titel: Menschenteufel
Autoren: M Raffelsberger
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Wir sind die Guten, schon vergessen?
    Im Blinken der Blaulichter zerfiel die Nacht zu
Standbildern. Der Notarzt beugte sich mit abgehackten Bewegungen über den Mann
auf der Bahre. Daneben tupfte ein Sanitäter im selben Takt Wunden ab.
Polizisten liefen zackig vorbei. Zwischen Fahrzeugen am Straßenrand suchten
zwei Techniker in weißen Overalls den Boden ab.
    In der schmalen Gasse drängten sich Polizeiautos und Rettungswagen,
ihre rotierenden Leuchten jagten gespenstische Schatten durch die Gärten und
über die Fassaden der Villen. Aus den dunklen Silhouetten der Häuser strahlten
vereinzelt Fenster, hinter denen sie neugierige Schemen erkannte. Nachher sind
immer alle da.
    Lia Petzold zwang sich, auf den nackten Mann vor ihr zu sehen.
    Oberinspektor Dr. Pribil drängte sich neben sie.
    »Das ist ja ein Neger! Um den kümmern Sie sich, Petzold.«
    Der Arzt sah kurz von seiner blutigen Arbeit auf und bedachte den
Oberinspektor mit einem stirnrunzelnden Seitenblick.
    »Was ist denn das für einer?«, fragte er Petzold.
    »Einer von vielen.«
    »Das wird wieder ein Geschrei«, stöhnte Pribil. »Und alle werden auf
uns herumhacken. Ein paar alternative Politiker schreien
›Ausländerfeindlichkeit‹, und der Pepe wird nervös wegen der Medien.«
Polizeipräsident. PP . Pepe. Niemand wusste, wer
Wiens oberstem Polizisten zuerst diesen Spitznamen verpasst hatte, doch alle
nannten ihn so. Solange der Präsident nicht anwesend war. »Noch schlimmer wird
alles, weil ein paar Gutmenschen wieder demonstrieren oder Lichterlketten
veranstalten werden müssen.«
    »Da werden Sie ja dann dabei sein, oder?«
    »Warum sollte ich?«
    »Sie sind Polizist. Wir sind die Guten, schon vergessen?« Sie wandte
sich an einen der Uniformierten, die als Erste am Tatort gewesen waren.
    »Wissen wir, wer er ist?«
    »Nein. Er war völlig nackt, als er gefunden wurde. Keine Papiere,
nichts.«
    »Passt zum Wetter«, brummte Pribil und öffnete noch einen Hemdknopf.
Eine Stunde nach Mitternacht zeigte das Thermometer achtundzwanzig Grad. Obwohl
sie ein paar Kilometer von der Donau entfernt waren, lag drückende Schwüle in
der Luft. Die vierte Tropennacht in Folge. Eine Motte streifte Petzolds Stirn
und verschwand in der Dunkelheit.
    Der Verletzte trug einen kurzen, grau melierten Bart und ebenso kurz
getrimmte Haare. Ihre feine Krause ließ Lia Petzold auf eine afrikanische
Herkunft schließen. Seine Hautfarbe erinnerte sie an Malagaeis. Trotz der
Schwellungen schien ihr die Nase schmal. Sah sie von den Haaren ab, konnte er
auch aus dem arabischen, persischen oder südasiatischen Raum stammen.
    Vor Petzolds innerem Auge erschien das Bild gläubiger Moslems, wie
es die Medien oft zeichneten: Bart, kurzes Haupthaar. Gegen ihren Willen
schossen weitere Gedanken durch ihren Kopf. Moslem. Gewalt. Terrorist? So weit
hatte es die Propaganda gebracht. Nur dass sie ihre Gedankenreflexe nicht
gleich zum Weltbild machte, unterschied sie von Pribil.
    Blutige Gaze bedeckte den Großteil der Brust.
    »Es geht ihm schlecht«, erklärte der Arzt, längst wieder über seinen
Patienten gebeugt. »Wir müssen ihn erst einmal stabilisieren und transportfähig
machen. Das wird eine Weile dauern. Jemand hat ihn fast totgeschlagen.
Vermutlich mehrfacher Schädelbruch. Ein paar andere Knochen dazu. Zahlreiche
Prellungen, Quetschungen, Platzwunden. Und das.«
    Er hob das rotfleckige Verbandsmaterial an und gab die Brust des
Mannes für Lia Petzolds Blick frei.
    Im schmalen, untrainierten Torso eines mindestens Fünfzigjährigen
klafften kreuz und quer handlange Schnitte.
    Flache Atmung hob und senkte die Rippen. Dabei öffneten und
verengten sich die feuchten roten Täler. Ihre Ränder waren dunkel
eingetrocknet. An einigen reihten sich Blutstropfen wie auf einer Kette. Aus
anderen sickerten rote Rinnsale. Der Sanitäter tupfte sie auf. Der Arzt spannte
ein Heftpflaster.
    Sofort fiel Petzold auf, dass die Verletzungen nur auf den ersten
Blick willkürlich aussahen. Die senkrechten, waagerechten und gebogenen
Schlitze ergaben ein Muster. Wer immer den Mann so zugerichtet hatte, hatte
sich nicht damit zufriedengegeben, ihn ins Koma zu prügeln. Er hatte eine
Botschaft hinterlassen.
    Eine Botschaft aus sechs Buchstaben. Ein Wort.
    »Terror«, murmelte sie. »Das schreiben Skinheads oder Hells Angels
auf ihre Jacken und Fingerknöchel.«
    Auch in Wien gab es immer wieder Übergriffe auf Ausländer. Doch an
einen so gewalttätigen konnte sich Petzold nicht erinnern. In
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