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Menschenteufel

Menschenteufel

Titel: Menschenteufel
Autoren: M Raffelsberger
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Keine Seltenheit in dieser Gegend, wo viele
Reiche und Prominente wohnten. Deshalb war ihr der neunzehnte Wiener
Gemeindebezirk immer eine zwiespältige Heimat gewesen. Sie war in keiner der
Jugendstilvillen aufgewachsen, die das aufstrebende Bürgertum in dem ehemaligen
Vorort errichtet hatte, um aus der engen Stadt zu flüchten. Seit sie sich
erinnern konnte, lebten ihre Eltern in einem schmucklosen Gemeindebau, den
sozialistische Politiker zur Durchmischung der Milieus während der fünfziger
Jahre zwischen die noblen Anwesen gepflanzt hatten. Die Luxusdomizile kannte
sie nur von Nachmittagen bei jenen wenigen Schulkameradinnen, die auch die
Kinder aus dem Gemeindebau einladen durften. Vielleicht war sie deshalb nach
der Schule fortgezogen. Mit ihrer ersten Dienststelle war sie vor einem Jahr
zurückgekehrt. Vom Kriminalkommissariat West im siebzehnten Bezirk betreuten
sie den neunzehnten mit.
    Hinter Petzold fuhr das Rettungsauto fort. Ein Einsatzwagen folgte.
    Als sie durch das Gartentor trat, sprangen entlang der geschwungenen
Auffahrt Lampen an. Unter ihren Schritten knirschte der Kies. Auf ihr Klingeln
öffnete ein Kollege. Er ließ sie ein und führte sie durch den Windfang in die
gebäudehohe Empfangshalle. An den holzgetäfelten Wänden schlängelte sich eine
Treppe in die oberen Geschosse. Aus schweren Ölgemälden blickten ehrwürdige
Ahnen auf Petzold herab. Die gegenüberliegende Wand beherrschte ein barocker
Sekretär, das Zentrum des Raums eine Sitzgruppe aus dem Biedermeier. Von der
Decke hing ein Kristallluster in Dimensionen, wie Petzold sie aus der Hofburg
oder dem Musikvereinssaal kannte. Der staubige Geruch von schweren
Stoffvorhängen und altem Holz schlich in ihre Nase.
    Bei ihrem Eintreten erhob sich ein hochbetagter Mann in blauem Hemd
und dunkler Hose und kam ihr entgegen. Seine Größe und aufrechte Haltung
konnten Petzold nicht darüber hinwegtäuschen, dass er die achtzig bereits
hinter sich gelassen haben musste. Aus dem Kragen ringelten sich weiße Haare
über das Blau des Stoffs.
    »Gerwald Köstner. Guten Abend.«
    Er reichte ihr eine Hand, die gleichfalls von schütterem, weißem
Haar bedeckt war. In seine Züge hatte sich über die Jahrzehnte eine Mischung
aus Entschiedenheit und Wachsamkeit geprägt. Der Name sagte ihr nichts. Das
Gesicht kam ihr bekannt vor, sie konnte es aber nicht zuordnen. Wenn er schon
lange hier wohnte, war sie ihm wahrscheinlich früher auf der Straße begegnet.
    Petzold entschuldigte sich für die späte Störung.
    Der alte Mann rieb sich über Wange und Kinn, wo erste
frühmorgendliche Bartstoppeln schimmerten. »Ich muss Sie um Entschuldigung
bitten für meine Erscheinung.«
    »Sie haben den Mann gefunden?«
    »Bitte, nehmen Sie Platz. Ja. Ich konnte nicht schlafen und wollte
noch einen kleinen Spaziergang machen.«
    Petzold fiel auf, wie gepflegt der alte Mann war. Seine faltigen
Finger waren tadellos manikürt, sein volles schlohweißes Haupthaar durchzog auf
der linken Seite ein akkurater Scheitel.
    »Kaum war ich auf die Straße getreten, sah ich ihn dort zwischen den
Autos liegen.«
    »Sonst haben Sie nichts gesehen?«
    »Nein. Ich bin hin, so schnell ich konnte. Da war überall Blut. Er
atmete nicht. Also lief ich zurück ins Haus«, bedauernd hob er eine Hand, »weil
ich so neumodische Dinge wie ein Handy nicht besitze. Von hier aus habe ich die
Polizei verständigt. Dann bin ich wieder hinaus und habe auf die Polizei
gewartet. Ihr Kollege hat mich dann wieder hereingebracht. Er ist tot, nicht
wahr?«
    »Die Ärzte haben noch ein wenig Leben in ihm entdeckt. Ob sie es
halten können, wird man sehen.«
    Gerwald Köstner schwieg einen Moment, bevor er flüsterte: »Mein
Gott! Wird er denn wieder gesund?«
    »Es sieht schlimm aus. Ist Ihnen heute Abend irgendetwas
Ungewöhnliches aufgefallen?«
    »Nichts. Allerdings war ich die meiste Zeit in der Bibliothek, und
die liegt auf der Gartenseite des Hauses. Wie auch der Speiseraum, in dem ich
mein Abendessen eingenommen habe. Ist es wirklich vor meiner Tür passiert?«
    Daran hatte Petzold auch schon gedacht. Natürlich konnten der oder
die Täter den Verletzten hier nur abgeladen haben. Das würde erklären, dass
niemand die Tat bemerkt und die Polizei um Hilfe gerufen hatte.
    »Wir wissen es noch nicht. Wohnt sonst noch jemand in diesem Haus?«
    »Nein. Tagsüber kommt eine Haushälterin. Aber sie geht um sieben
Uhr, nachdem sie gekocht hat, auch gestern. Hoffentlich wird der Mann in ein
ordentliches
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