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Menschenteufel

Menschenteufel

Titel: Menschenteufel
Autoren: M Raffelsberger
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Durch das hohe Altbaufenster
fiel schräges Morgenlicht. Pis Fell leuchtete noch röter als sonst. Gierig
versenkte sie ihr Gesicht im Futter.
    Nach einer langen Dusche presste Petzold einen Saft aus den frischen
Früchten und sackte auf einem der zwei alten Holzstühle zusammen. Pi hatte es
sich inzwischen auf der Fensterbank in der Sonne bequem gemacht. Als Petzold
eingetreten war, hatte sie nur kurz den Kopf gehoben, ohne die genussvoll
zusammengekniffenen Augen zu öffnen, sich gerekelt und wieder eingerollt. Petzold
trank einen Schluck und starrte gedankenverloren an der Katze vorbei aus dem
Fenster. Das Laub eines Ahornbaums im Hof zitterte in der beginnenden Hitze.
    So lange wie möglich hatte sie diesen Moment hinausgeschoben. Kaum
saß sie still, tauchten die Bilder der vergangenen Nacht auf. Der zerschlitzte
Brustkorb des Mannes. Das obszöne Eigenleben der blutigen Spalten bei jedem
seiner Atemzüge. Vergeblich versuchte Petzold, sie zu verscheuchen. Sie hatte
sich an das Adrenalin gewöhnt, das bei Einsätzen jedes Mal aufs Neue in ihren
Adern glühte. Vielleicht brauchte sie es sogar. Das gestand sie sich aber nur
selten ein.
    Es half ihr. In Stresssituationen schaltete es das Denken aus. Sie
funktionierte dann wie ein Roboter. Tat, was sie tun musste. Womit sie immer
noch kämpfte, war das Gefühl danach. Sobald die erste Anspannung vergangen war.
Wenn sie sich in das Opfer hineinversetzte.
    In der Zeitung konnte von ihrem nächtlichen Fall noch nichts stehen,
weil sie nur eine Abendausgabe herausbrachte. Auf dem Wohnzimmersofa öffnete
Petzold den Laptop. In der Onlineausgabe des größten Boulevardblatts fand sie
eine kurze Notiz. Der nächtliche Reporter am Tatort war also von dort gekommen.
Sonst nirgends eine Erwähnung.
    Petzold streckte sich auf dem Sofa aus und schloss kurz die Augen.
Dass Pi ins Zimmer schlich und sich an ihre Seite kuschelte, baute sie bereits
in ihre Träume ein.

Die neue Welt
    Der Tag, der alles verändern sollte, begann sonnig. Sofort war
er hellwach. Der Wecker zeigte sechs Uhr und fünf Minuten. Er hatte geschlafen.
Tief. Fest. Endlich.
    Es musste mit seiner Entscheidung zusammenhängen. Damit, was er
gestern beschlossen hatte. Nachdem alles aufgetaucht war. In seinem Schädel
glitzerte ein Kristall, ein großer, glänzender, ungetrübter Edelstein. Er ging
ins Bad, barfuß und nackt, wie er war. Lange duschte er, eiskalt, bis es
schmerzte. Ihm war bewusst, dass dies die rituelle Reinigung vor dem Opfer war.
Der Eintritt in die neue Welt. Er rasierte sich sorgfältig. Zuerst die
Bartstoppeln, wie jeden Morgen. Dann den Kopf. Lange, exakte Bewegungen zogen
die Klinge über seine straffe Haut. Die Locken fielen auf seine Schultern,
glitten an seinem Körper hinab und sammelten sich um seine Füße. Die wenigen
Brusthaare waren schneller verschwunden. In den Achseln und an der Scham war er
vorsichtiger. Für einen Moment kam er sich vor wie ein Schwimmer. Oder wie ein
Pornodarsteller. Glatt. Doch darum ging es nicht. Haarlos, das war wichtig.
Nachdem er auch Arme und Beine geschoren hatte, reinigte er das Bad mit dem Staubsauger.
Dann duschte er noch einmal. Spürte sein neues, kahles, nacktes Ich. Aus dem
Spiegel blickte ihm ein Fremder entgegen. Sein weißer Schädel passte zu der
weißen Hose, die er anzog, zum weißen T-Shirt, den weißen Tennisschuhen und der
weißen Baseballkappe. Kein Schwimmer. Ein Kricketspieler. Er spürte keinen
Hunger.
    Sein Reisekoffer lag bereit. Er hatte den kleinen gewählt, den er
sonst für Wochenendausflüge verwendete. Bereit für eine Reise, wie er sie noch
nie erlebt hatte. Wie er sie nie wieder antreten würde. Die Reise in ein neues
Leben. Er würde nicht zurückkommen, nicht in dieses Leben. Er wusste nicht, wie
weit sie ihn führen würde. Noch einmal kontrollierte er den Inhalt.
    Zuoberst lag das Bild. Das Foto, das alles ausgelöst hatte. Nach all
den Jahren.
    Ein schiefes Lächeln verzog sein Gesicht. Ausgerechnet im billigsten
Boulevardblatt des Landes war er darauf gestoßen. Er kaufte es nie. Früher
hatte er es am Wochenende aus den Ständern mitgenommen, manchmal, ohne zu
zahlen, natürlich. Kein Mensch zahlte. Manchmal blätterte er es beim Friseur
durch oder im Kaffeehaus, so wie gestern, als er auf den Bericht gestoßen war.
Ein Mann war zusammengeschlagen worden, ein Schwarzer. Niemand kannte ihn. Er
hatte keine Papiere bei sich. Ein Streit unter Drogendealern und Asylanten,
oder beides, mutmaßte der Autor.
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