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Menschenteufel

Menschenteufel

Titel: Menschenteufel
Autoren: M Raffelsberger
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Gemälde von Rembrandt.
    Sie hatte keine Ahnung, woher der Mann in Weiß den Ziegenbock hatte.
Vor wenigen Minuten hatte er ihn gebracht. Das Tier bewegte sich nicht.
Entweder war es bewusstlos oder tot. Es musste schwer sein, denn der Mann in
Weiß hatte erleichtert gekeucht, als er es auf den Boden fallen ließ. Und es
stank. Der Bocksgeruch biss in ihrer Nase. Der Geruch des Teufels. Fehlte nur mehr
der Schwefel, dachte sie. Der Mann in Weiß hatte einen Strick um die
Hinterläufe gebunden und ihn durch einen der Eisenringe in der Kellerdecke
hochgezogen. Darunter platzierte er einen großen Bottich. Mit tastendem Griff
suchte er den pelzigen Hals ab. Er fand die Stelle, zog die Klinge darüber und
sprang zurück.
    Sie warf dem Kopf zur Seite und schloss die Augen. Ihre Ohren konnte
sie nicht schließen. Sie hörte die Flüssigkeit auf den Steinboden spritzen,
dann das Rinnsal, dem der Bottich ein leises Echo gab. Was sollte das sein? Ein
Opfer? Eine Schächtung, wie bei manchen Religionen üblich? Warum mussten sie
Zeugen sein? Endlich vernahm sie nur mehr Tropfen, deren Abstände immer länger
wurden. Der Geruch ließ sie würgen. Sie konnte die Tränen kaum zurückhalten.
Reiß dich zusammen, befahl sie sich. Überleg, was du tun kannst.
    Warum hatte er sie hier zusammengebracht? Sie kannte die Gruppe.
Gesehen hatte sie seit Jahren keinen mehr. Vermisst hatte sie niemanden davon.
Wenn sie sich daran erinnerte, was sie getan hatten. Sie waren mehr gewesen als
vier. Viel mehr. Immer Neue waren dazugekommen. Kamen noch dazu. Hier waren nur
ein paar von damals. Wo waren die anderen? Würden sie noch kommen? Einige von
ihnen waren inzwischen gestorben, das wusste sie. Manche hatte er vielleicht
nicht mehr gefunden. Oder sie waren nicht erreichbar.
    Was wollte er von ihnen?
    Vom Kadaver kam ein seltsames Geräusch, ein Schaben. Sie wollte
nicht hinsehen und musste es dann doch. Wie auf einem barocken Stillleben, ging
ihr durch den Kopf. Alles erinnerte sie an die Bilder der Alten.
    Genau in diesem Augenblick führte der Mann in Weiß seinen nächsten
Schnitt. Rund über den Bauch der Kreatur. So fest wie möglich drückte sie die
Augen zu. Ein grauenvolles Geräusch, wie zerreißender Stoff, ließ sie wieder
aufsehen. Ruckartig zog der Mann die Haut vom Bauch des Tieres und legte das
nackte Fleisch frei. Sie wandte sich ab. Du überlebst auch das, schwor sie
sich. Du hast ganz anderes durchgemacht. Dann hörte sie das Sägen. Durch
schmale Schlitze warf sie schnelle Blicke auf die anderen drei. Alte Männer,
schwankend zwischen hilflosem Entsetzen, Faszination und Panik. Über ihre
Gesichter lief der Schweiß, sammelte sich unter den Hemden und tränkte sie bis
in die letzte Faser. Faltig klebten sie an den alten Körpern. Die weißen
Klebebänder über ihren Mündern bildeten abwechselnd eine groteske Mulde oder
Beule. Einatmen. Ausatmen. Ein. Aus.
    Wieder wurde ihr bewusst, wie zerstört, hilflos, verzweifelt sie
selbst auf die anderen wirken musste. Ihre Bluse war zu weit offen, gab den
Blick auf ihr schlaffes Dekolleté und den runden Bauch frei. Sie war
ungewaschen, unfrisiert, verschwitzt. Bis ins tiefste Innere fühlte sie sich
gedemütigt, entwürdigt.
    Sie durfte den Mut nicht verlieren. Zum wiederholten Male wand sie
ihre Hände in den Fesseln hinter der Stuhllehne, versuchte die Füße aus dem
Band an den Stuhlbeinen zu befreien. Sie sah die anderen schlaff in ihren
Sesseln hängen. Zwei saßen ihr gegenüber, einen guten Meter vom Tisch entfernt,
so wie sie selbst auch und wie ihr Nachbar. Als diene das lange Möbel zwischen
ihnen nicht zum Essen, sondern als eine Art Bühne. Wofür?
    Das Sägen hörte nicht auf. Wieder wagte sie einen Blick. Von dem
Ziegenbock hingen nur noch die Hinterbeine und ein Teil des Fells herab. Träge
schwangen die Hautlappen neben der weißen Schirmkappe des Mannes. Er kniete
neben dem Bottich, aus dem seltsam verrenkt Vorderbeine und Kopf des Tieres
ragten, und sägte die Hörner ab. Das Gerät erinnerte sie an eine Laubsäge, aber
es war größer und glänzte. Bei jeder Bewegung quietschte es.
    Sie musste an die Kinder denken. Wenn sie gebastelt hatten. Ihr
Eifer hatte sie immer fasziniert. Und ihre Ideen.
    Mit einer List hatte er sie abends aus dem Haus gelockt. Bevor sie
sich wehren konnte, hatte er ihr die Watte ins Gesicht gedrückt, wie in einem
Film. Aufgewacht war sie hier, in diesem Keller. Sie wusste nicht, wo sie sich
befand. Sicher wurde sie bereits gesucht! Es
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