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Menschenteufel

Menschenteufel

Titel: Menschenteufel
Autoren: M Raffelsberger
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Sie die drastischen Ausdrücke. Welches Schwein richtet einen
Menschen so zu? So sehen normalerweise Opfer eines Autounfalls aus.«
    »Ich weiß.«
    Durch das kleine Fenster in der Tür sah Petzold nur schräg auf das
Chromgestell, in dem der Unbekannte lag. Ein weiß einbandagierter Kopf ruhte
leicht erhöht. Unter dem Stoff der Decke zeichneten sich die Körperkonturen ab.
Erst nach einer Weile erkannte Petzold das flache, regelmäßige Heben und Senken
der Brust. Aus den verschiedensten Körperstellen wanden sich Schläuche in die
Geräte neben dem Bett.
    Voller Unbehagen fühlte Petzold jene Stellen an ihrem Oberkörper,
ihren Unterarmen und Beinen, wo auch bei ihr schon einmal Flüssigkeiten
abgeronnen und zugeführt worden waren. Manchmal glaubte sie, es vergessen zu
können. Doch die Erinnerung kam immer wieder. Selten war sie auf einen so
eindeutigen Auslöser zurückzuführen wie in diesem Moment. Manchmal genügte ein
Geruch, ein Laut, ein Lichteffekt. Sie ärgerte sich, dass ihr angesichts des
Verletzten ihre eigene Geschichte einfiel. War sie deshalb eine Egoistin? Oder
war das ein Reflex? Sie zwang sich, an etwas anderes zu denken.
    Wer hat dir das angetan, unbekannter Mann?
    Die kalte Atmosphäre des weiß getünchten Raums, die Glasflächen und
Metallgeräte, regungslos darin verloren ein Mensch. Festgefroren in der Zeit.
Für ihn stand alles still. Petzold hatte von Fällen gelesen, bei denen dieser
Zustand Jahre, Jahrzehnte angedauert hatte. Dann waren die Betroffenen
plötzlich zu sich gekommen. Zurück in den Fluss der Zeit getaucht. Uhren
tickten wieder, Vögel flogen am Fenster vorbei, vertraute Stimmen erklangen.
    Ihre Hände waren zu bewegungsunfähigen Haken verkrümmt. Ihre Beine
strohdünn. Viele blieben den Rest ihrer Tage Pflegefälle. Die meisten erwachten
nie wieder. Kein Bewusstsein mehr. Auf einmal befiel Petzold das Gefühl, der
Zustand sei ansteckend, wenn sie noch länger zusah. Sie musste raus. Sich
versichern, dass sie noch lebte.
    Als Petzold die Wohnung vor sieben Jahren gemietet hatte, war
das Haus gerade renoviert worden. Zweihundert Jahre nach seiner Errichtung in
der Vorstadt »am Spitalberg« hatte es die Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs
ebenso überlebt wie die Abrisspläne der sechziger Jahre und gehörte heute zum
luxuriös sanierten Ensemble des Spittelbergs. Über Jahrhunderte eine Hochburg
der Prostitution, war das Viertel heute eines der charmantesten der Stadt. In
den nahen Concept Stores fand man die neuesten Kreationen junger Modemacher, in
den Cafés hockten junge Menschen vor ihren Laptops, immer neue kleine Läden
belebten mit dem Verkauf von Biolebensmitteln, Schokolade, Wein, ausgefallener
Kinderkleidung oder Antiquitäten das Straßenbild der Umgebung. Von hier
erreichte Petzold zu Fuß mit ein paar Schritten Wiens größte Shoppingmeile, die
Mariahilfer Straße, innerhalb einer Viertelstunde war sie in der Innenstadt oder
am Naschmarkt. Die zwei Zimmer mit Küche und Bad fraßen die Hälfte ihres
mageren Gehalts. Die Parkplatzsituation war verheerend. Im Sommer wich die
Hitze nicht mehr aus den baumlosen Straßen. Trotzdem liebte sie diesen Ort.
    Im Stiegenhaus empfing sie eine angenehme Kühle. Sie angelte die
Post aus dem Briefkasten. Beim Hochgehen hallten ihre Schritte. Jetzt spürte
sie die Müdigkeit. Zur Begrüßung bog Pi ihren Rücken nach oben und schmiegte
sich um Petzolds Unterschenkel. Die Katze vibrierte vor Schnurren. Petzold nahm
sie hoch und tauchte ihre Nase ins Fell. Genüsslich streckte Pi die Krallen aus
und grub sie sanft in Petzolds Schultern.
    Eigentlich hieß das Tier Principessa und war das Überbleibsel einer
vergangenen Beziehung. Frederik hatte sie einfach dagelassen, als Petzold ihn
hinausgeworfen hatte. Sie war ihm deshalb nicht böse. Wegen vielem anderen.
Aber nicht wegen Principessa. Jemand, der sie zu Hause erwartet. Jetzt bin ich
also auch so weit, hatte sie beim ersten Mal gedacht. Der Name war ihr allerdings
zu lang. Ein typischer Frederik-Name. Manieriert, übertrieben, unpraktisch.
Deshalb kürzte sie ihn ab. Der Katze war es egal, solange sie zu fressen bekam.
Darum liebte man Tiere. So einfach war das. Und so enttäuschend.
    »Schau, was ich für dich habe.« Sie schwenkte das Plastiksäckchen
mit den Hühnerherzen.
    Petzold schleuderte die Schuhe von den Füßen und trug die Katze in
die schmale Küche. Zeitung und Post warf sie auf den kleinen Tisch. Sie füllte
die Näpfe mit Wasser und dem frischen Fleisch.
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