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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie
Autoren: Heinrich Mann
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Ge-
    samteindruck er sich, seitdem er der jungen Frau ge-
    genübersaß, befunden, zu versichern.
    Sie machte in ihrem zugleich eleganten und an-
    spruchslosen Morgenkleide von weißen Spitzen,
    welches in gut geordneten Falten um ihre etwas zu
    schlanke, in den tiefen Sessel geschmiegte Gestalt
    lag, ganz den Effekt einer großen Dame. Auf ihren
    Knien ruhten, zwei Finger ineinander gelegt, ihre
    Hände, die den jungen Mann seit ihrer ersten Bewe-
    gung lebhaft beschäftigt hatten. Sie waren lang und
    schmal, jedoch von einer nicht vollendeten, etwas
    harten Form und, ebenso wie das Gesicht der Frau,
    von einer eigentümlichen, leicht gelblichen Färbung
    überhaucht, durch die der Betrachtende den darun-
    terliegenden weißen Teint zu sehen meinte. Das
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    Haar der Dame war trotz der frühen Stunde mit al er
    Kunst geordnet, wobei besondere Sorgfalt auf eine
    kluge Verteilung der Stirnlöckchen verwendet war.
    Die Stirn selbst war ziemlich niedrig und von nicht
    reiner Form. Um so reiner und tadelloser war der
    Ansatz der sehr leicht gebogenen Nase, deren feine
    Flügel leise vibrierten. Ebenso waren Kinn und
    Mund fein gebildet, wenngleich auch sie der Weich-
    heit entbehrten. Die einander fremden Charaktere
    der beiden Gesichtshälften ließen in diesem Ge-
    sichte die Vermischung verschiedener Racen vermu-
    ten.
    Dann wurde die Aufmerksamkeit des Beobach-
    tenden wieder von den vielsagenden und doch wie-
    der nichts verratenden Augen angezogen, als die
    junge Frau aufs neue zu sprechen begann, hastig ein-
    setzend, als werde sie erst jetzt des beiderseitigen
    Schweigens inne. –
    Sie that, zum erstenmal ausführlicher, Annas Er-
    wähnung.
    »Damit Sie wissen, welches Glück Sie haben«,
    sagte sie, »sollte ich Ihnen eigentlich fortwährend
    von den Vorzügen Ihrer Braut sprechen. Ich darf es
    wohl, da ich ja an ihrer Bildung keinen Anteil habe?«
    »Ein junges Mädchen lernt zuweilen ebensoviel
    von einer älteren Freundin wie von einer Mutter.«
    »Annas Erziehung bewundere ich umsomehr, als
    sie sie sich nach dem frühen Tode ihrer Mutter of-
    fenbar ganz allein gegeben hat. Ihre beneidenswerte
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    Anspruchslosigkeit haben Sie gewiß schon kennen
    gelernt. Auch muß Ihnen aufgefallen sein, daß sie
    eine Menge Dinge weiß, von denen wir andern keine
    Ahnung haben. Besonders für ein junges Mädchen
    ist ihr Wissen, glaube ich, außerordentlich. Aber
    darüber habe ich kein Urteil. Mein Gott, ich bin so
    dumm gegen sie.«
    So schloß sie, mit einer nicht ganz zu verbergen-
    den Ungeduld in der Stimme.
    Mochte es nun die von ihm geargwohnte Absicht
    der Sprecherin, sich durch eine günstige Beurteilung
    seiner Braut seinen Wünschen anzupassen, sein, die
    ihn verstimmte – Wel kamp konnte nicht anders, als
    sich in dem nämlichen Gefühl der Gegnerschaft, das
    ihn unter dem Eindruck ihres ersten Blickes befal-
    len, innerlich gegen jedes ihrer Worte empören. Hin-
    ter ihren scheinbar liebenswürdigen Äußerungen
    witterte er versteckte Bosheiten auf Rechnung seiner
    Braut. Überhaupt erkannte seine Empfindung dieser
    Frau völlig das Recht ab, sich über Anna auszuspre-
    chen, sei es immer in welcher Weise. Statt der anfäng-
    lichen nervösen Antipathie, welche ihn ein rätselhaf-
    tes Interesse zu Zeiten vergessen gemacht hatte, er-
    griff ihn jetzt offene Feindseligkeit, in der für ihn
    seltsamerweise etwas erleichterndes lag, gegen die
    ihm gegenübersitzende Dame. Diese wartete, gelas-
    sen mit den an den Seitenlehnen ihres Sessels herab-
    hangenden Quasten spielend, noch immer auf die
    Erwiderung ihres einsilbigen Gastes, auf den sie un-
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    ausgesetzt ihren verschleierten Blick gerichtet hielt.
    Als der junge Mann keine Miene machte, sein
    Schweigen zu unterbrechen, bot sie ihm mit einem
    nachlässigen Wink auf das vor ihr stehende Service
    eine Tasse Thee an. Wel kamp lehnte kurz und wenig
    höflich ab und war im Begriffe, seinen Vorsatz, bis
    zur Rückkehr der Reiter auszuharren, aufzugeben,
    als sich im Nebenraume Annas Stimme vernehmen
    ließ. Gleich darauf traten die Erwarteten ein.
    Wellkamp folgte seinem plötzlich aufwallenden
    Bedürfnis, den Gegensatz zwischen seiner mehr als
    kühlen Haltung in Gesellschaft Frau v. Grubecks
    und dem herzlichen Willkomm, welchen er seiner
    Braut bot, besonders auffällig zu machen. Er wußte
    selbst nicht, für wen? So beugte er sich mit rascher
    Bewegung tief auf Annas kleine, kräftige und leicht
    gebräunte Hand, die noch halb vom
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