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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie
Autoren: Heinrich Mann
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hast Du von Anfang an klar
    und ehrlich vor Dir. – Man muß sich gegenseitig von
    seiner Natur nichts verheimlichen können. – Und
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    Papa, weißt Du, ist im Gegensatz zu ihr ein so einfa-
    cher und offener Charakter –«
    Sie war im Begriff, ihre Auseinandersetzung von
    vorn zu beginnen, so verlegen war sie durch sein be-
    harrliches Schweigen gemacht. Die letzten Sätze
    hatte sie bereits zögernd gesprochen und nur, um
    eine peinliche Pause zu vermeiden. Sie fürchtete, ihn
    durch irgend eines ihrer Worte verletzt zu haben.
    Endlich kam seine zerstreut klingende Zustimmung:
    »Ja, gewiß.« Dann schwiegen beide.
    Wellkamp hatte während der schlichten Erzäh-
    lung seiner Braut an dem vagen Gefühl einer Be-
    klemmung, die sich auf seine Brust legte, das Heran-
    nahen einer neuen, noch unbekannten Gefahr zu ah-
    nen gemeint. Er zitterte vor ihr um so mehr, als ihm
    zu ihrer Überwindung auch der Anschluß an Anna
    kein Vertrauen einflößte. Denn im Verlaufe ihrer
    Auseinandersetzung, welche sein Interesse auf uner-
    klärliche Weise erregt hatte, glaubte er zum ersten-
    male eine Grenze ihrer Fähigkeiten bemerkt zu ha-
    ben. Sie hatte so zuversichtlich, als sage sie etwas
    selbstverständliches, davon gesprochen, daß man
    einander, um das Glück einer Verbindung zu ermög-
    lichen, nichts verheimlichen können dürfe: also
    mußte sie wohl die Geheimnisse seines eigenen In-
    nenlebens in ihrem Besitze glauben. Sie mußte ihn
    zu kennen wähnen! Durch diese Beobachtung
    schien ihm unvermutet eine eigentümliche Ironie ih-
    res Verhältnisses aufgedeckt. Mochte er sie am Ende
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    nur hineinlegen mit dem gewöhnlichen Hochmut
    der vom Leben Mitgenommenen, an schlimmen Er-
    fahrungen Reichen, die auf unschuldige und vertrau-
    ensvolle Menschen, so sehr sie diese beneiden und
    lieben mögen, im tiefsten Herzen doch immer ge-
    wissermaßen herabblicken – jedenfalls war seine jet-
    zige Empfindung nicht geeignet, ihn zuversicht-
    licher zu stimmen.
    Das unausgesprochene Mißbehagen, welches auf
    diese Weise sich zwischen sie gelegt hatte, wurde
    auch während der Bahnfahrt von Gmünd bis Mün-
    chen nicht beseitigt. Sie redeten nur gleichgiltiges
    mit einander, während Herr v. Grubeck sich auch im
    Coupé eine Schlummerecke eingerichtet hatte. Als
    er kurz vor der Einfahrt in die Halle geweckt wurde,
    machte der alte Herr sich eifrig mit dem Gepäck zu
    schaffen und umarmte sodann den Schwiegersohn
    mit verhaltener Rührung, während er sich durch die
    immer wiederholte Versicherung eines baldigen
    Wiedersehens Trost zusprach.
    Wellkamp geleitete Vater und Tochter an den für
    Dresden bestimmten Zug, wo man eilig Abschied
    nehmen mußte. Während die Verlobten sich die
    Hände reichten, bemerkte eines in des andern Blick
    das Bedauern über das unbestimmte Hindernis in
    seinem Gefühl, welches den Abschied nicht so herz-
    lich werden ließ, wie jedes von ihnen es wünschte.
    31
    II
    Die Angelegenheiten, welche ihn nach München ge-
    führt, hielten Wellkamp dort länger zurück, als er
    ursprünglich angenommen hatte. Die Verwaltung
    seines nicht unbeträchtlichen mütterlichen Erbes,
    um welche es sich auch jetzt handelte, war das ein-
    zige Geschäft, das ihm seit seinem Fortgang aus der
    Heimat oblag, und auch dieses hatte er in einer ihm
    unter den nunmehrigen Verhältnissen selbst unbe-
    greiflichen Weise vernachlässigt.
    In den zwei Wochen, die seit ihrer Trennung ver-
    strichen waren, hatten die Verlobten nur einmal
    briefliche Grüße ausgetauscht. Aus ihrer kurzen
    Mitteilung hatte Wellkamp, ohne daß sie es aus-
    drücklich angab, herausgelesen, wie unbedeutend
    seiner Braut die bei solchen Gelegenheiten übliche,
    ausführliche Korrespondenz erschien, welche in-
    folge der Unmöglichkeit, das Wesen des Schreibers
    ohne Einschränkung oder Übertreibung auszudrük-
    ken, über den Mangel persönlichen Verkehrs keines-
    wegs hinweghelfen konnte.
    Als er nach Ablauf dieser Zeit seine geschäftliche
    Abhaltung unvermutet beendet sah, gab der junge
    Mann dem Gelüste nach, unerwartet bei seinen
    neuen Angehörigen zu erscheinen, und reiste, ohne
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    sie vorher zu benachrichtigen, ab. Er traf am Abend
    in Dresden ein.
    Schon in früher Stunde machte er sich am näch-
    sten Morgen auf, sich der Familie seiner Braut vor-
    zustellen. Das Wiedersehen mit letzterer machte
    ihm nach so kurzer Trennung mehr freudiges Herz-
    klopfen, als er gehofft hätte. Es kam hinzu, daß ihn
    die Ankunft in der Stadt,
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