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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie
Autoren: Heinrich Mann
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ausfallen.
    Der ältere Wel kamp hatte, aus kleinen Verhältnis-
    sen aufgestiegen, ein nicht unbeträchtliches Vermö-
    gen erworben, als er die Tochter eines Münchener
    Geschäftsfreundes heimführte. Die Frau, deren feine
    sanfte Züge Erich nur aus ihrem Bilde kannte,
    mochte bei ihren Lebzeiten einen mildernden, ver-
    feinernden Einfluß auf ihren Gatten ausgeübt ha-
    ben. Jedenfalls waren nach der Geburt des Knaben
    und ihrem Tode sowohl seine geschäftlichen Mani-
    pulationen wie sein Privatleben immer zweifelhafte-
    rer Natur geworden.
    Der heranwachsende Sohn unterließ es nicht, als
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    Entschuldigung für den Vater anzuführen, daß er
    sich über den Tod der Gattin, die er wahrhaft geliebt
    zu haben schien, viel eicht auf seine Weise zu trösten
    versuchte. Überdies lag es nicht in der Natur des
    jungen Wellkamp, über das Treiben eines andern
    moralisch abzuurteilen. Was ihn auf eine ihm selbst
    nur halb begreifliche Weise gegen seinen Vater erbit-
    terte, war, daß er selbst mit dem Hange zu gleichen
    Ausschweifungen zu kämpfen hatte. Vergebens rang
    er anfänglich in Stimmungen des Überdrusses mit
    sich um den Sieg über die Leidenschaft. Langsam
    erzog ihn dann die Zeit zur Gleichgiltigkeit – bis
    jene Szene erfolgte, deren er nie gedenken konnte,
    ohne zugleich Schmerz und Abscheu zu empfinden,
    und welche einen nie geheilten Bruch zwischen ihm
    und seinem Vater herbeiführte, um einer Frau wil-
    len.
    Während des Mittagsmahles, der einzigen Gele-
    genheit, die sie mitunter zusammenführte, hatte ihm
    der Vater an jenem Tage den Verkehr mit einer be-
    stimmten Frau untersagt.
    »Warum gerade mit ihr nicht?«
    Als auf seine wiederholte Frage das Verbot nicht
    begründet wurde, hatte er in einer Aufwallung sei-
    nes Blutes, die vielleicht durch beleidigtes Selbstbe-
    wußtsein, vielleicht durch Eifersucht verursacht war,
    seinem Vater die Beschuldigung zugeworfen:
    »Weil Du selbst Absichten hast!«
    Zwar war er darauf selbst erschrocken, seinem In-
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    stinkt Recht gegeben zu sehen, als jener in nicht län-
    ger zurückgehaltener Wut ihn anherrschte:
    »Nun, und was weiter? Ich werde Dich einfach
    überbieten!«
    Wie namenlos brutal und unwürdig ihm später
    diese und die dann folgenden Repliken erschienen!
    Konnte er es wirklich sein, hinter dem diese Szene
    lag, er, der gegen jede Rohheit, gegen jeden leiden-
    schaftlichen Auftritt immer eine empfindliche Ab-
    neigung besessen hatte?
    Nach einem solchen Ende seiner Beziehungen
    zum Vaterhause war er aufgebrochen, um draußen
    seine Gewohnheiten, die stärker als er waren, fort-
    zusetzen. Was hatten die Reisen, welche seit seinem
    zweiundzwanzigsten Jahre, nun zehn Jahre hin-
    durch, sein Leben ausgefüllt hatten, demselben an
    inneren Gehalt gegeben?
    Er legte sich die Frage in dieser Stunde mit einem
    bittern Lächeln vor. Er ließ einiges von dem, was sich
    in den Koffern, an denen er beschäftigt war, an Rei-
    seerinnerungen fand, durch seine Hände gleiten:
    Antiquitäten, Bilder, Andenken, elegantes Gerum-
    pel, das meiste unbedeutend, einiges von Wert.
    »Weiter nichts?« fragte er.
    Er glaubte sich gestehen zu müssen, daß er immer
    derselbe geblieben, von jenem Bruch mit seinem Va-
    ter bis an den gewaltsamen Abschluß des letzten
    Berliner Abenteuers, dem er kaum erst entronnen.
    Das hatte sein Dasein ausgemacht.
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    Unter dem Druck der Reminiszenzen erschien
    ihm die Vergangenheit so grel und so mißtönig, daß
    er zweifeln zu müssen meinte, ob sie selbst von einer
    tröstenden und befreienden Zukunft völlig über-
    wischt und zum Stimmen gebracht werden könnte.
    Wie dem auch sein mochte, er klammerte sich an
    die Hoffnung, hier einen letzten Ausweg aus den
    bisherigen Irrungen seiner Existenz vor sich zu ha-
    ben. In hoher, reiner Luft hatte er eine Alpenrose ge-
    funden; in ihre Atmosphäre mußte er sein in dump-
    fer Niederung erstickendes Leben verpflanzen, um
    gesunden zu können. In Furcht und Hoffnung zu-
    gleich fieberhaft zitternd, suchte er endlich sein La-
    ger auf, ohne doch bis gegen Morgen einen regelmä-
    ßigen Schlaf finden zu können.
    Als Wellkamp beim Frühstück mit den Grubecks
    wieder zusammentraf, konnte er bemerken, daß
    auch hinter ihnen eine größtenteils ruhe- und erho-
    lungslose Nacht lag. Der Major schien zudem die
    Nachwirkung des ungewohnt reichlichen Weinge-
    nusses noch nicht überwunden zu haben. Seine klei-
    nen Augen, die er mit Anstrengung geöffnet hielt,
    erglänzten
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