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Fummelbunker

Fummelbunker

Titel: Fummelbunker
Autoren: Sonja Ullrich
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1.
    Ich war ungefähr neun, als ich meine erste Fliege sezierte. Sie war dick und wulstig, ihre Facettenaugen rostbraun. Eine klassische Scheißhausfliege also. Sie starb einen äußerst langsamen Erstickungstod unter Muttis Butterdose. Vielleicht war sie auch verhungert oder verdurstet, das ließ sich durch meine Obduktion nicht einwandfrei feststellen; genauso wenig wie ich in Erfahrung bringen konnte, ob Fliegen überhaupt über Hirn, Herz oder Nasennebenhöhlen verfügen. Wahrscheinlich war ich einfach noch zu jung, um Fliegenmatsch in Organe und Muskelmasse zu klassifizieren.
    Mein Name ist Esther Roloff. Ich bin 34 Jahre alt und Privatermittlerin in Probezeit. Mittlerweile sezierte ich keine Insekten mehr, aber für rechtsmedizinische Leichenöffnungen hat es in Ermangelung eines Fachhochschulabschlusses wiederum auch nicht gereicht. Seit vier Monaten engagierte ich mich als Versicherungsdetektivin bei Tozduman Securities in der klassischen Verbrechensbekämpfung: Ich spürte schulpflichtige Blaumacher auf, vereitelte Arztbesuche von Scheininvaliden und jagte irgendwelchen Mördern hinterher, sofern mein Chef und die Polizei nicht Wind davon bekamen. Da aber Letzteres so gut wie nie vorkam, war es nicht der spannendste Job auf Erden, den ich da ausübte. Aber er war im Augenblick der einzige, der mir eine Glock 38 in der Handtasche erlaubte; auch wenn ich sie wegen eines nicht vorhandenen Waffenscheins nicht durchladen durfte. Das Gefühl war vergleichbar mit dem D&W-Sportauspuff vom Typ ›King Kong‹, den sich der Macker unter den Daihatsu Charade schnallt, wohl wissend, dass die Karre trotzdem nicht schneller fuhr. Man fühlt sich einfach besser damit.
     
    Es war Ende Juni und die große runde Glühbirne, die selbstherrlich über dem Planeten baumelte, schien in Leuchtstoffqualität auf meinen Skalp hernieder. Flach wie ein Kuhfladen lag ich zwischen zwei Brombeersträuchern, während mir der dröge Duft ausgetrockneter Gräser in der Nase hing. Die Observation eines Friedhofes aus der Kuhfladenperspektive hatte etwas Unnachahmliches. Bemooste Grabsteine, die mir stehend kaum bis zu den Knien reichten, ragten plötzlich wie Hermannsdenkmäler über meinen Kopf empor; ihre in Goldlack gemeißelten Namen und Rechenaufgaben flimmerten dabei prunkvoll in der Mittagssonne. Dann begann es, in meinem Bein zu kribbeln, und ich riss mir an einem Dorn die Wange auf, als ich mich wie eine halbherzig angebratene Roulade von der einen auf die andere Seite drehte. Ich stieß einen kaum hörbaren Fluch aus, doch es muss hauptsächlich das Geraschel und Gewackel des Beerenstrauches gewesen sein, das den Jagdinstinkt einer vorbeiziehenden alten Schachtel mit Gehstock weckte. Der Stock war zweifingerdick, wahrscheinlich Esche oder Hasel, und mit wappenartigem Zierrat tapeziert. Nicht zu vergessen der metallene Sporn am Fuße des Stockes, den Oma energisch durch die Äste schob. Die Spitze traf mich an der Schulter und spießte mich beinahe am Kehlkopf auf. Also sprang ich auf die Füße, hechtete durch das Gebüsch und imitierte einen wilden Puma, indem ich wie ein leerlaufender Wasserschlauch fauchte. Mit einem Kampfschrei parierte die alte Dame und prügelte mir auf den Kopf, bis ich einen Kniefall machte und meine Arme schützend über dem Nacken kreuzte.
    »Ich werd Ihnen geben, wehrlose alte Leute hinterrücks zu überfallen!« Sie drohte mir mit dem Stock.
    »Hey! Sie haben mich angegriffen!«
    »Ich musste mich schützen.«
    »Was?« Ich stand auf. »Aber ich hab Ihnen doch gar nichts getan! Ich habe niemandem etwas getan.«
    »Und warum liegen Sie dann da rum?«
    Ich rieb mir den pochenden Hinterkopf. »Probe liegen.«
    »Wollen Sie mich verkackeiern?«
    Schotter wurde aufgewirbelt und ein klobiger Körper tauchte in meinem Rücken auf. »Ja, will sie!«
    Die Alte starrte den Mann mit tellerrunden Augen an, ihre Falten auf der Stirn bekamen allmählich Junge.
    »Und jetzt machen Sie gefälligst den Flattermann. Oder möchten Sie sich auch mal lang machen?«
    Sie zog ihre Mundwinkel herunter und krächzte: »Blödes junges Pack.« Endlich stakste sie davon.
    »Scheiß Rheumaliga«, knirschte Metin.
    Ich glotzte ihn an. »Was machst du denn hier?«
    Metin Tozduman war mein Chef. Er war acht Jahre älter als ich und befand sich immer noch in postpubertärer Hockstellung. Sein Körper war gedrungen, das Fleisch im mittleren Bereich eher lose. Seine Stirn war ein Kontinent, der durch den androgenetischen Haarausfall bis
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