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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie
Autoren: Heinrich Mann
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ist
    eine Wiederholung ohne Ende. So wie wir’s erleben,
    hat es sich unzähligemal zugetragen. Im geistigen
    und moralischen Leben gibt es nur darum ein
    »Hinab«, damit sofort ein »Herauf« darauf folgen
    kann.«
    »Und Du glaubst, daß wir an dem »Hinauf« ange-
    langt sind?« fragt Wellkamp fast freudig und erwi-
    dert Annas zustimmendes Lächeln.
    Sie haben Beide die Hoffnung, weil sie die Liebe
    haben.
    Dann geht die junge Frau ihrem Vater entgegen,
    der auf die Terrasse heraustretend die Tochter auf die
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    Stirne küßt, um dann dem Schwiegersohne kräftig
    die Hand zu schütteln. Die Verheerungen, welche die
    grausamen Erfahrungen des letzten Winters an ihm
    angerichtet, sind so vollständig wie möglich geheilt.
    Anfangs hat auch er sich gesträubt, vom Schicksal
    die Lösung anzunehmen, welche es durch den Tod
    seiner Gattin allen Schwierigkeiten seiner Familien-
    verhältnisse erfunden. Er hat Doras Opfer mit der-
    selben Notwendigkeit wie Wel kamp als, wenn nicht
    für ihn, so doch zu seinen Gunsten gebracht, anse-
    hen müssen. Indes hat er das weit drückendere Ver-
    mächtnis zu übernehmen gehabt, das seine Lebens-
    führung in der Abhängigkeit der Toten beließ, wie
    sie solange aus der Hand der Lebenden unterhalten
    war. Und um sein Alter in der Nähe der geliebten
    Tochter zubringen zu können, hat er seinen Wider-
    willen und seinen Stolz gegenüber dem Manne, den
    seine Gattin geliebt, zum Schweigen bringen müs-
    sen. Sein Verhältnis zu seinem Schwiegersohn ist in
    letzter Zeit selbst herzlicher geworden als es je frü-
    her gewesen. Mit Hilfe des ihn immer leichter gefü-
    gig machenden Alters hat er bald in jedem Punkte
    die Waffen gestreckt. Wann thäten dies die Menschen
    nicht, die von Hause aus Ansprüche an das Leben zu
    stellen gelernt haben, denen dieses in der Folge nur
    gegen tausend Demütigungen und Opfer an ihrem
    Gewissen gerecht wird. Vergessen sie doch am Ende,
    daß sie diesen Preis tagtäglich zahlen. An Herrn von
    Grubeck verrät nichts, daß er ein vom Leben Gede-
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    mütigter ist. Er fühlt sich behaglich im Hause seiner
    Kinder, in dessen oberem Stockwerk ihm die schön-
    sten Zimmer hergerichtet sind. Den Verkehr im
    Klub, der ihm liebgeworden ist, hat er beibehalten.
    Während er eine dort gehörte Anekdote erzählt oder
    die Einladung einer der Familien überbringt, mit de-
    nen man seit kurzem den lange Zeit unterbrochenen
    Verkehr wieder angeknüpft, hat er sein gutes, lautes
    Lachen von ehemals. Jede seiner Bewegungen, sein
    ganzes, schon etwas großväterliches Gehabe spricht
    aus, wie zufrieden der alte Herr ist, noch einmal wie-
    der gefunden zu haben, was er seit seiner Kindheit
    verloren: Das echte, stetig geordnete, einträchtige
    und in seinem unscheinbaren Frieden so inhaltsrei-
    che Leben in einer Familie.
    In Augenblicken des Schweigens sehen die drei
    Menschen, nun alle in jene »Hafenruhe« eingelau-
    fen, von der Wellkamp von jeher unter dem Blick
    von Annas Augen geträumt, in den Garten hinaus,
    wo schon dichte Schatten über der Stelle liegen, an
    welcher Dora gestorben, und über welche die Blicke
    bereits ohne eine unausgesetzte Erinnerung hinweg-
    gleiten. Der nun regelmäßiger durch die Wege strei-
    fende Abendwind treibt die im Dunkeln geheimnis-
    voll raschelnden Blätter vor sich her. Sie flattern,
    eines ums andere, langsam und stil , aber nicht eben
    traurig, wenn man es nicht mit traurigen Augen an-
    sieht, die Terrassenstufen hinab, und von der letzten
    ins Wasser, auf dessen mondbeglänzter Fläche sie
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    kurze Zeit aufleuchten, um dann stromabwärts in
    den Schatten zu verschwinden, gleichwie unsere
    Jahre, eines ums andere, von uns fort in die Unend-
    lichkeit treiben, oder wie uns das Andenken einer
    Toten entgleitet.
    Lausanne , September 1892 – Riva Oktober 1893.
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    Editorische Notiz
    Der Roman In einer Familie – entstanden zwischen
    1892 und 1893 – ist Heinrich Manns erster abge-
    schlossener Roman. Das Buch erschien 1894 beim
    Verlag von Dr. Eugen Albert & Co. in München. Die
    zweite, unveränderte Auflage 1898. 1924 folgte eine
    dritte, stilistisch, aber nicht inhaltlich überarbeitete
    und leicht gekürzte Auflage bei Ullstein in Berlin.
    Heinrich Mann fügte dem Buch ein Nachwort bei,
    das im folgenden abgedruckt wird. Der Text wird
    nach der Fassung des Erstdrucks veröffentlicht.
    301
    Anhang
    Diesen Roman schrieb ich so früh, daß ich unmög-
    lich noch zu ihm stehen kann wie ein Autor zu sei-
    nem
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