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In einer Familie

In einer Familie

Titel: In einer Familie
Autoren: Heinrich Mann
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Sterbefalle den Hinterbliebenen erwachsen,
    zu einer gesunden Ableitung des Schmerzes, der da-
    durch ins al tägliche Leben herabgezogen, etwas von
    seiner Schrecklichkeit einbüßt. Schließlich ist man es
    beinahe zufrieden, durch diese handwerksmäßigen
    Beschäftigungen eines Austausches seiner Empfin-
    dungen überhoben zu sein, durch den man bisher
    wechselseitig seine Erregung erhöht hat. Hier aber
    machten die Beteiligten es sich eher zum Vorwurf,
    durch Nebensächlichkeiten die innere Bedeutung
    der Lage zu verdunkeln. Wenn Anna die Liste, wel-
    che sie für die Mitteilungskarten aufgestellt, ge-
    schäftsmäßig mit ihrem Gatten durchging, war es ih-
    nen, als buchstabierten sie in einem Buche umher,
    über dessen Inhalt und Sinn sie sich vielmehr zu ver-
    ständigen hatten.
    Indirekt geschah letzteres dennoch einmal schon
    während der Tage, die sich die Leiche noch im Hause
    befand. Da Herr von Grubeck sich tief nieder-
    geschlagen und keiner der an ihn herantretenden
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    Aufgaben gewachsen zeigte, hatte seine Tochter ihm
    insbesondere die schwierigste abgenommen, die An-
    zeige des traurigen Ereignisses an Doras Vater ab-
    zufassen. Wellkamp, dem sie den fertigen Brief un-
    terbreitete, wurde tief berührt von dem wahren,
    bewegenden Ton, den er selbst, wie es ihm schien,
    nie so hervorgebracht hätte, auch wenn er ruhiger
    und weniger unter dem unmittelbaren Eindruck des
    Erlebten gewesen wäre. Er fühlte wohl, daß ebenso
    sehr wie das ausgezeichnete Herz seiner Gattin hier
    jener weibliche Zusammengehörigkeitssinn sprach,
    der Frauen unter einander ihr Leid so gut begreifen
    läßt, wie sehr sie auch oft im Glücke sich hart und
    hinderlich sein mögen. Zuweilen aber drang durch
    die diskrete, sich mehr an Doras, durch ihr unglück-
    liches Naturell bedingte Lage als an das eigentlich
    Geschehene haltende Darstellung jene eigentüm-
    liche, mehr nervöse Erregung hindurch, die das Zei-
    chen ist, daß man sich anders als nur danebenste-
    hend und mitleidend, daß man sich in gewisser
    Weise thätig beteiligt glaubt. Es war zweifellos nur
    Wellkamp möglich, diese eigentümliche Ahnung
    einer Schuld wahrzunehmen, die für ein zartes Ge-
    wissen fast beruhigender sein kann, als eine völlige
    Gewißheit der Verantwortlichkeit. Er aber war um
    so sicherer, diese Skrupel zu verstehen, und als er
    Anna das Schreiben zurückgab, vermied er ihren
    Blick, der gleichzeitig dem seinen auswich.
    Erst auf der Rückfahrt von der Beerdigung, die,
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    stets für die Trauernden, ohne daß sie selbst es ah-
    nen, etwas Befreiendes hat, da nun, vielleicht wider
    ihren eigenen Wil en, das Leben endgültig wieder in
    seine Rechte tritt, fanden sie die Stimmung zu einer
    gegenseitigen Beichte. Anna hüllte mit einem zärt-
    lich besorgten Blick ihren Vater ein, der stark geal-
    tert erschien, und dessen von so vielen ungewohnten
    Aufregungen schwere Augenlieder gleich nach dem
    Besteigen des Wagens zugefallen waren. Seltsamer
    Weise war hierdurch die gleiche Situation hergestellt
    wie damals, als die Verlobten auf der Herreise von
    Kreuth ihre erste vertraute Unterredung hielten, de-
    ren Gegenstand genau wie heute Dora war. War
    nicht auch dieses Zusammentreffen bezeichnend da-
    für, daß sich hier einer der Ringe an der Kette ihres
    Lebens, und ein wie bedeutender, für immer schloß?
    »Es hätte ja nicht immer so bleiben können« sagte
    Wellkamp unvermittelt, und es fand sich, daß Beide
    denselben Gedanken gehabt.
    »Sie mußte früher oder später unsere Rückkehr
    erfahren« fuhr Anna fort »und wir hätten uns ir-
    gendwie zu einander stellen und wenn keinen Ver-
    kehr, so doch ein Verhältnis schaffen müssen.«
    Beide fühlten seit langem, daß das Fernhalten Do-
    ras etwas Vorläufiges gewesen, daß sie Unrecht ge-
    habt, selbst noch nach ihrer Wiederansiedelung in
    Dresden fortdauern zu lassen, das jedoch der Egois-
    mus ihres Glückes sie zu unterbrechen gehindert
    hatte.
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    »Ich weiß wohl,« nahm Anna nach einem Schwei-
    gen das Gespräch wieder auf, »daß Du mich vor un-
    serer Herkunft an die Schwierigkeit unserer Lage er-
    innert hast. Vielmehr als Du hab ich zum Aufbruch
    gedrängt, weil ich so unwiderstehlich gern ein Nest
    bauen wollte, das endlich einmal ganz uns gehören
    sol te, und dann des armen Vaters wegen. An sie, mit
    ihrem viel schwereren Unglück, mochte ich nicht
    einmal denken. Da liegt meine Schuld, die ich mir
    nicht vergebe.«
    Wellkamp machte eine abwehrende
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