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Du wirst noch an mich denken

Du wirst noch an mich denken

Titel: Du wirst noch an mich denken
Autoren: Susan Andersen
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    A unie Franklin war gegenüber Komplimenten zu ihrem Aussehen relativ immun. Die hatte sie zur Genüge gehört, seit sie fünf Jahre alt war, und sie verstand eigentlich gar nicht, was das ganze Theater sollte - wie die meisten Frauen war sie der Meinung, etwas Unterstützung von Seiten der Kosmetikindustrie brauchen zu können. Abgesehen davon, beruhte das Aussehen eines Menschen nicht in erster Linie auf einem zufälligen Zusammenspiel der Gene? Es war im Grunde genommen keine Leistung, auf die sie stolz sein konnte, oder? Wenn man ihr gesagt hätte, sie sei intelligent oder, besser noch, sie beweise Kompetenz, ja, das hätte sie wirklich schmeichelhaft gefunden. Mit sechsundzwanzig hatte sie das Gefühl, den Großteil ihres Lebens damit verschwendet zu haben, nichts weiter als ein hübsch anzusehendes Schmuckstück zu sein, dekorativ, im Übrigen aber ziemlich nutzlos.
    Nicht dass das zurzeit ein besonderes Problem wäre, dachte sie mit einer gehörigen Portion Selbstironie.
    Sie blickte an der Backsteinfassade des alten Mietshauses empor. Mit seinem altmodischen, von Säulen flankierten Eingang, dem warmen Farbton der Ziegelsteine und der wunderschönen Tür mit dem großen ovalen Einsatz aus geschliffenem Glas hatte es ihr dieses Haus sofort angetan. Sie hatte es durch Zufall entdeckt. Es war nicht allzu groß, es lag in der Nähe des Colleges, und das Beste von allem war ein auf dem handtuchgroßen Rasen im Vorgarten aufgestelltes Schild, auf dem stand, dass hier eine Wohnung zu vermieten war. Dieses Schild hatte sie zunächst gar nicht bemerkt. Ihre Aufmerksamkeit war von dem Gebäude selbst angezogen worden, als sie in ihrem Mietwagen langsam die engen Straßen abgefahren war. Es strahlte eine heruntergekommene Vornehmheit aus, die ihr das Gefühl vermittelte, zu Hause zu sein. Sie hatte früher in solchen Häusern gewohnt.
    Das Haus sah perfekt aus, und das wiederum fand sie unwillkürlich etwas beunruhigend. Denn alles, was den Eindruck machte, perfekt zu sein, hatte meistens einen Haken. Das hatte sie auf schmerzhafte Weise am eigenen Leib erfahren.
    Nun, den Haken in diesem Fall hatte sie schnell gefunden, als sie nach einem Parkplatz Ausschau zu halten begann. Das war in diesem Viertel offensichtlich ein nahezu hoffnungsloses Unterfangen. Sie musste mehrere Runden um die angrenzenden Häuserblocks drehen, bevor sie endlich eine Parklücke fand, die so schmal war, dass es ihr erst beim dritten Anlauf gelang, ihr Auto hineinzuquetschen. Und anschließend musste sie natürlich auch noch den Weg zurück finden. Sie war um so viele Ecken gebogen, dass sie völlig die Orientierung verloren hatte.
    Es mangelte ihr jedoch keineswegs in dem Maß an Intelligenz, wie man bei ihr zu Hause in Atlanta im Allgemeinen annahm. Sie hatte sich die Kreuzungen gemerkt und stand schließlich wieder vor dem Haus. Sie legte den kurzen Weg zur Eingangstür zurück, drückte auf den Klingelknopf und spähte durch die Glasscheibe in das Treppenhaus.
    Mit dem glänzenden alten Holz und den frisch gestrichenen Wänden sah es so aus, als wäre es erst vor kurzem mit viel Liebe renoviert worden. Direkt gegenüber der Eingangstür führte eine offene Treppe mit einem Eichengeländer nach oben. Die Stufen waren mit einem alten, etwas abgetretenen Läufer belegt, der einmal sehr teuer gewesen sein musste.
    Aus dem Lautsprecher neben ihrem Ohr drang ein Knistern, und gleich darauf fragte eine Stimme: »Kann ich Ihnen helfen?«
    Aunie beugte sich vor. »Ich komme wegen der Wohnung, die zu vermieten ist.«
    »Die Wohnung des Hausverwalters ist die 1A auf der rechten Seite.« Der Türöffner summte, und Aunie trat über die Schwelle. Unwillkürlich erschauerte sie, als sie die Tür hinter sich schloss und plötzlich in der Wärme stand. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie durchgefroren sie war, solange sie draußen in dem feuchten kalten Wind gestanden hatte. Nachdem sie ihr ganzes bisheriges Leben im Süden verbracht hatte, würde es wohl eine Weile dauern, bis sie sich an das Wetter in Seattle gewöhnt hatte. Es regnete nicht richtig, aber in der Luft lag eine Feuchtigkeit, die bis in die Knochen drang.
    Noch mehr Wärme umfing sie, als sich die Tür zur Wohnung des Hausverwalters plötzlich öffnete, bevor sie klopfen konnte. In der Öffnung stand eine groß gewachsene schwarze Frau in einem farbenfrohen wallenden Gewand. Sie war barfuß, trug ein Kettchen am Fußgelenk, und um den Kopf hatte sie sich einen bunt gemusterten Schal
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