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In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis
Autoren: Jon Krakauer
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sein geliebtes Wildnisabenteuer verdarb, habe er die Hütten systematisch demoliert. Aber warum zerstörte McCandless dann nicht auch den Bus?
    Auch Carwile verdächtigt McCandless. »Ist nur so eine Ahnung«, erklärt er, »aber ich werd das Gefühl nicht los, daß der Junge einer von den Typen war, die ›die Wildnis befreien‹ wollen. Die Hütten zu zerstören wäre seine Art dazu beizutragen. Oder vielleicht war ja seine starke Abneigung gegen die Regierung der Auslöser: Er hat das Schild an der Rangerhütte gesehen und angenommen, daß alle drei Hütten Regierungseigentum sind. Und dann hat er beschlossen, es dem Großen Bruder mal zu zeigen. Möglich ist es in jedem Fall.«
    Die Forstbehörden ihrerseits glauben nicht, daß McCandless der Randalierer war. »Wir haben wirklich keinen blassen Schimmer, wer es gewesen sein könnte«, sagt Ken Kehrer, leitender Ranger des Denali Nationalparks. »Aber Chris McCandless wird von den Forstbehörden nicht als Verdächtiger gehandelt.« Tatsächlich gibt es in McCandless' Tagebuch und auf seinen Fotos nichts, das darauf hinweist, daß er in die Nähe der Hütten gekommen wäre. Als McCandless Anfang Mai vom Bus aus erste Exkursionen unternahm, machte er sich, wie die Fotos zeigen, in Richtung Norden auf. Er wanderte stromabwärts am Sushana entlang, in die entgegengesetzte Richtung der Hütten. Und selbst wenn er irgendwie über sie gestolpert wäre, ist es nur schwer vorstellbar, daß er sich mit der vermeintlichen Großtat nicht in seinem Tagebuch brüstete.
    Für den 6., 7. und 8. August sind in McCandless' Tagebuch keine Einträge verzeichnet. Am 9. August schrieb er, daß er auf einen Bären schoß, ihn aber verfehlte. Am 10. August sichtete er ein Karibu, das ihm aber entwischte. Es gelang ihm jedoch zumindest, fünf Eichhörnchen zu erlegen. Falls sich in seinem Körper allerdings bereits eine höhere Menge Swainsonin angestaut hatte, wäre auch diese unerwartete Beute kaum ausreichend gewesen, um ihn zu stärken. Am 11. August erlegte und aß er ein Schneehuhn. Am 12. August schleppte er sich aus dem Bus, um Beeren zu sammeln. Zuvor brachte er noch einen Zettel mit einem Hilferuf an der Vordertüre an, falls in seiner Abwesenheit jemand vorbeikommen sollte, was jedoch unwahrscheinlich war. Auf einer aus der Gogol - Erzählung »Taras Bulba« gerissenen Buchseite stand dort in sorgfältiger Blockschrift:
    S.O.S. ICH BRAUCHE IHRE HILFE: ICH BIN SCHWER VERLETZT, DEM TODE NAH. ICH BIN ZU SCHWACH, UM HIER WEGZUKOMMEN. ICH BIN GANZ ALLEIN. DIES IST KEIN SCHERZ. IN GOTTES NAMEN, BITTE GEHEN SIE NICHT WEG, BITTE RETTEN SIE MICH. ICH BIN NICHT WEIT, GEHE JETZT BEEREN SAMMELN. BIN GEGEN ABEND WIEDER DA. DANKE.
    Er unterschrieb mit »CHRIS MCCANDLESS. AUGUST?« Er war sich dem Ernst seiner Lage vollkommen bewußt und verzichtete deshalb auf seinen großspurigen Spitznamen, Alexander Supertramp, dem er in den letzten Jahren seinem Taufnamen gegenüber den Vorzug gegeben hatte.
    Viele Alaskaner haben sich gefragt, warum McCandless in seiner Verzweiflung nicht einen Waldbrand entfachte, als Notsignal. Im Bus befanden sich zwei beinahe volle Vier - Liter - Gasflaschen für den Ofen. Damit wäre es vermutlich ein leichtes gewesen, einen ausreichend großen Brand zu legen, der vorbeifliegende Flugzeuge alarmiert hätte. Zumindest hätte er damit ein riesiges SOS - Zeichen in die Sumpflandschaft brennen können.
    Anders als jedoch allgemein angenommen, liegt der Bus nicht unterhalb einer offiziellen Flugroute, und nur selten verirrt sich ein Flugzeug dorthin. In den vier Tagen, die ich am Stampede Trail verbrachte, konnte ich, abgesehen von Linienjets, die in Höhen von über achttausend Metern fliegen, kein einziges Flugzeug am Himmel entdecken. Sicherlich kommt es wohl ab und zu vor, daß auch kleinere Flugzeuge in Sichtweite des Busses vorüberfliegen, aber McCandless hätte schon einen sehr großen Waldbrand entfachen müssen, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Und wie Carine McCandless feststellt: »Chris hätte niemals absichtlich einen Wald niedergebrannt, nicht mal, um sein Leben zu retten. Wer so was denken kann, der kennt meinen Bruder einfach nicht.«
    Der Hungertod ist wirklich keine angenehme Art des Ablebens. Im fortgeschrittenen Stadium, wenn der Körper anfängt sich selbst aufzuzehren, stellen sich Muskelschmerzen ein, Herzrhythmusstörungen, Haarausfall, Schwindel und Atemnot, ferner eine extreme Kälteempfindlichkeit und ein Zustand allgemeiner physischer und
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