Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis
Autoren: Jon Krakauer
Vom Netzwerk:
seine in aller Unschuld begangenen Fehltritte als fatal und unumkehrbar heraus. Sein Name kam in die Schlagzeilen, und seine bestürzten Angehörigen sahen sich dem Scherbenhaufen einer grimmigen und schmerzhaften Liebe gegenüber.
    Eine erstaunlich große Anzahl von Menschen fühlte sich von der Geschichte von Chris McCandless' Leben und Sterben zutiefst betroffen. Der Outside- Artikel verursachte in den Wochen und Monaten nach der Veröffentlichung eine Flut von Leserbriefen, mehr als irgendein anderer Artikel in der Geschichte der Zeitschrift. Diese Briefe spiegeln, wie nicht anders zu erwarten war, höchst kontroverse Ansichten wider: Einige Leser brachten dem Jungen für seinen Mut und die hehren Idealen, von denen er sich leiten ließ, all ihre Bewunderung entgegen; andere dagegen wetterten, daß er ein leichtsinniger Idiot gewesen sei, ein Spinner, ein narzißtischer Traumtänzer, der aufgrund seiner Dummheit und Arroganz umkam - und der die große Aufmerksamkeit, die ihm in den Medien zuteil wurde, nicht verdient hatte. Meine eigenen Ansichten werden im Laufe des Buches deutlich zutage treten, doch der Leser möge sich sein eigenes Urteil über Chris McCandless bilden.
    JON KRAKAUER
SEATTLE
APRIL 1995

IN DIE WILDNIS
     



Im Herzen Alaskas

    KAPITEL EINS
    27. April 1992
    Grüße aus Fairbanks! Dies wird meine letzte Nachricht an Dich sein, Wayne. Bin vor zwei Tagen hier angekommen. Das Trampen in der Gegend um den Yukon lief nicht so gut. Aber jetzt bin ich endlich hier.
    Schicke bitte all meine Post an den Absender zurück. Es kann noch lange dauern, bis ich wieder im Süden bin. Dieses Abenteuer geht vielleicht tödlich aus, und es kann sein, daß Du nie wieder von mir hören wirst. Ich möchte aber, daß Du weißt, wie sehr ich Dich bewundere. Ich breche nun in die Wildnis auf.
    Alex.
    POSTKARTE AN WAYNE WESTERBERG,
CARTHAGE, SOUTH DAKOTA
      
      
    Vier Meilen hinter Fairbanks sah Jim Gallien den Tramper. Er stand schlotternd im Schnee am Straßenrand, den Daumen in das fahle Morgengrauen Alaskas gereckt. Er schien noch recht jung zu sein: achtzehn, höchstens neunzehn. Aus seinem Rucksack ragte ein Gewehr, aber er machte einen ganz freundlichen Eindruck. Im neunundvierzigsten Staat ist ein Tramper mit einer halbautomatischen Remington kein ungewöhnlicher Anblick. Gallien hielt an und bedeutete dem Jungen, einzusteigen.
    Der Tramper warf seinen Rucksack auf die Ladefläche des Fords und sagte, daß er Alex hieß. »Alex?« erwiderte Gallien, der gerne auch den Nachnamen gewußt hätte.
    »Einfach Alex«, blockte der Junge ab. Er war etwa einssiebzig groß und von drahtiger Gestalt. Wie sich herausstellte, war er vierundzwanzig Jahre alt und stammte aus South Dakota. Er wollte bis zum Denali - Nationalpark mitfahren. Von dort aus, sagte er, wolle er in die Wälder wandern und »ein paar Monate lang von dem, was das Land so hergibt, leben«.
    Gallien, ein Elektriker, war auf dem George Parks Highway unterwegs nach Anchorage, zweihundertvierzig Meilen über Denali hinaus. Er sagte Alex, er könne so weit mitfahren, wie er wolle. Der Rucksack des Jungen sah aus, als würde er gerade einmal zehn, fünfzehn Kilo wiegen. Dies erschien Gallien - einem erfahrenen Jäger und Waldarbeiter - für einen mehrmonatigen Aufenthalt in einem fast menschenleeren Gebiet als viel zu dürftig, vor allem da der Frühling gerade erst angebrochen war.
    »Der Junge hatte für solch eine Tour nicht annähernd genug Verpflegung und Ausrüstung dabei«, erinnert sich Gallien.
    Die Sonne ging auf. Als sie die bewaldeten Hügel oberhalb des Tanana River hinabrollten, starrte Alex über das windgepeitschte, sich endlos nach Süden erstreckende Tundramoor hinweg. Gallien fragte sich, ob er womöglich an einen dieser durchgeknallten Spinner aus dem Süden geraten war, die es immer wieder in den Norden zieht, um ihre naiven Jack London - Phantasien auszuleben. Alaska übte schon seit langem eine geradezu magnetische Anziehungskraft auf Träumer und Aussteiger ans: Typen, die sich einbildeten, daß eine Reise in die unberührte, endlose Weite des Last Frontier ihr zerrissenes Leben flicken würde. Die Wildnis ist jedoch unerbittlich und schert sich nicht um Wünsche und Sehnsüchte.
    »Die Leute von außerhalb«, erzählt Gallien in seiner tiefen, melodischen Stimme, »sehen eine Ausgabe von Alaska, blättern drin rum, und dann denken sie, ›Mann, da fahr ich jetzt hin, ernähr mich von Mutter Natur und leb 'n schönes, heiles
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher