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In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis
Autoren: Jon Krakauer
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Leben‹. Aber wenn sie dann hier sind und die Wildnis hautnah erleben - tja, so, wie das in den Zeitschriften ausgemalt wird, is' es nun mal nicht. Die Flüsse hier sind riesengroß und können ganz schön tückisch sein. Die Moskitos fressen einen bei lebendigem Leibe. In den meisten Gegenden gibt es einfach nicht viel zu jagen. In der Wildnis zu leben ist was anderes als 'n Weekend auf dem Land.«
    Die Fahrt von Fairbanks bis an die ersten Ausläufer des Denali - Parks dauerte zwei Stunden. Sie unterhielten sich und lernten sich ein wenig kennen. Der Junge schien nun doch nicht so durchgeknallt zu sein, wie Gallien anfangs befürchtet hatte. Er war sympathisch und machte einen gebildeten Eindruck. Er durchlöcherte Gallien mit detaillierten Fragen über die verschiedenen Arten von Niederwild, welche Beeren man essen könne - »und all solche Sachen«.
    Und dennoch war Gallien beunruhigt. Alex mußte zugeben, daß seine Verpflegung nur aus einem Fünf - Kilo-Sack Reis bestand. An Kleidung und Ausrüstung hatte er nicht einmal das in Anbetracht des rauhen Klimas Allernotwendigste dabei. Es war April und das Landesinnere lag immer noch unter einer dichten Schneeschicht begraben. Alex' billige Wanderstiefel waren weder wasserdicht noch ausreichend gefüttert. Die .22 Remington war ein Kaliber zu klein; man konnte sich nicht darauf verlassen, wenn man auch größeres Wild wie Elche und Karibus erledigen wollte. Und darauf wäre er angewiesen, wenn er tatsächlich länger bleiben wollte. Er hatte weder Axt noch Insektenkiller, weder Schneeschuhe noch Kompaß. Seine einzige Orientierungshilfe war eine zerfledderte Straßenkarte von Alaska, die er an einer Tankstelle geschnorrt hatte.
    Einhundert Meilen hinter Fairbanks steigt der Highway in die unteren Ausläufer der Bergkette der Alaska Range hoch. Als der Pick - up über eine Brücke des Nenana River ruckelte, blickte Alex in die reißende Strömung hinab. Er fürchte sich vor Wasser, gestand er Gallien. »Vor einem Jahr bin ich unten in Mexiko mit einem Kanu aufs Meer hinausgepaddelt. Dann ist ein Sturm aufgezogen, und ich wäre beinahe ertrunken.«
    Ein wenig später nahm Alex seine Straßenkarte heraus und zeigte auf eine gestrichelte rote Linie, die den Highway in der Nähe von Healy, einer kleinen Kohlebergbaustadt, durchschnitt. Es handelte sich um den Stampede Trail, eine unbefestigte, kaum benutzte Straße, die auf den meisten Karten Alaskas nicht einmal eingezeichnet ist. Auf Alex' Karte jedoch schlängelte sich die Linie vom Parks Highway etwa vierzig Meilen weit nach Westen, um sich schließlich inmitten der unwegsamen Wildnis nördlich des Mount McKinley zu verlieren. Dort, verkündete Alex, wolle er hin.
    Gallien hielt die Pläne des Trampers für zu waghalsig und versuchte immer wieder, ihn davon abzubringen.
    »Ich hab ihm gesagt, daß es dort, wo er hin will, nicht so leicht ist, was zu jagen, daß er vielleicht tagelang nichts erlegen wird. Als das nicht wirkte, hab ich versucht, ihm mit Bären - Storys Angst einzujagen. Ich hab ihm gesagt, daß er einem Grizzly mit 'nem Zweiundzwanziger nichts anhaben kann, daß er ihn damit wahrscheinlich nur noch wütender macht. Hat den Jungen aber alles nicht sonderlich beeindruckt. ›Dann klettere ich eben auf einen Baum‹, hat er nur gemeint. Also hab ich ihn darüber aufgeklärt, daß die Bäume in der Gegend nicht besonders groß werden und daß so ein Bär eine von diesen dürren, kleinen Schwarzfichten mit einem Schlag umhaut. Aber der Knabe hat sich einfach nichts sagen lassen. Auf alles hatte er eine Antwort.«
    Gallien bot Alex an, ihn bis nach Anchorage mitzunehmen, ihm eine anständige Ausrüstung zu kaufen und ihn wieder zurückzufahren.
    »Nein, aber vielen Dank fürs Angebot«, antwortete Alex. »Ich werd mit dem, was ich hab, schon zurechtkommen.«
    Gallien fragte, ob er eine Jagdlizenz habe.
    »Nee, natürlich nicht«, sagte Alex spöttisch. »Wie ich mich ernähre, geht die Regierung einen Dreck an. Die können mich mal mit ihren blöden Regeln.«
    Als Gallien fragte, ob seine Eltern oder ein Freund von seinem Vorhaben wüßten - ob es da irgend jemanden gibt, der Alarm schlägt, falls er in Schwierigkeiten gerät oder sich längere Zeit nicht meldet - , antwortete Alex seelenruhig, nein, daß niemand von seinen Plänen weiß, daß er ehrlich gesagt seit beinahe zwei Jahren mit seiner Familie kein Wort mehr gewechselt hat. »Wenn's Schwierigkeiten gibt, werd ich damit schon allein fertig,
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