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In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis
Autoren: Jon Krakauer
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Killian die Leiche bergen solle. Der war jedoch der Ansicht, daß dies eher Sache der Alaska State Troopers sei.
    Killian, ein Bergarbeiter, der auch als Notarzthilfe für die Freiwillige Feuerwehr von Healy jobbt, hatte in seinem Argo ein Funkgerät. Von seinem Standort aus schaffte er es jedoch nicht, eine Verbindung herzustellen, und er fuhr ein Stück in Richtung Highway zurück. Nach fünf Meilen, kurz vor Einbruch der Dunkelheit, gelang es ihm endlich, das Kraftwerk von Healy anzufunken.
    »Dringende Nachricht«, meldete er, »hier spricht Butch.
    Ruft die Troopers, Leute. In dem Bus drüben am Sushana liegt ein Mann. Sieht aus, als wär er schon 'ne Weile tot.«
    Am nächsten Morgen um halb neun dröhnten Rotorblätter über dem Bus, und ein Hubschrauber setzte in einem Wirbelsturm aus Staub und Espenlaub zur Landung an. Die Troopers suchten die Gegend ringsum kurz nach Spuren ab, um ein Verbrechen auszuschließen. Kurz darauf verschwanden sie wieder. Als sie abhoben, hatten sie neben Chris McCandless' Leiche die Kamera des Toten mit fünf Rollen belichteten Films, den SOS - Zettel und ein paar Tagebuchnotizen dabei. Diese waren auf die beiden letzten Seiten eines Handbuchs über eßbare Pflanzen gekritzelt und hielten in einhundertdreizehn dichtgedrängten, kryptischen Einträgen die letzten Wochen im Leben des Jungen fest.
    Die Leiche wurde nach Anchorage gebracht, wo im gerichtsmedizinischen Institut eine Autopsie durchgeführt wurde. Die Verwesung war zu weit fortgeschritten, um den genauen Zeitpunkt des Todes zu bestimmen. Es konnten jedoch weder Anzeichen innerer Verletzungen noch irgendwelche Knochenbrüche festgestellt werden. An der Leiche war kaum noch subkutanes Fett. Der Muskelschwund muß in den Tagen und Wochen vor dem Exitus beträchtlich gewesen sein. McCandless' Gebeine wogen zum Zeitpunkt der Autopsie dreiunddreißig Kilo. Man ging davon aus, daß der Tod durch Verhungern eingetreten war.
    McCandless hatte seinen Hilferuf zwar unterschrieben, und die Fotos, die man entwickeln ließ, enthielten viele Selbstporträts, da er aber keine Personalien bei sich getragen hatte, wußten die Beamten weder, wer er war, noch woher er kam und was er hier wollte.

Carthage

    KAPITEL DREI
    Was ich wünschte, war Bewegung und nicht ein ruhiges Dahinfließen des Lebens. Es verlangte mich nach Aufregungen und Gefahren, nach Selbstaufopferung um eines Gefühls willen. In mir war ein Überschuß von Kraft, der in unserem stillen Leben keinen Raum zur Bestätigung fand.
    LEO N. TOLSTOI,
»FAMILIENGLÜCK«
    Von Chris McCandless
angestrichener Passus aus einem der
mit der Leiche geborgenen Bücher.
      
    Es läßt sich wohl kaum abstreiten,... daß die Vorstellung von einem freien, ungebundenen Leben uns seit jeher berauscht und beflügelt hat. In unserer Gedankenwelt verbinden wir damit die flucht vor der Last der Geschichte, vor Unterdrückung, dem Gesetz und lästigen Verpflichtungen. Wir sehnen uns nach der absoluten Freiheit, und der Weg dorthin führte schon immer gen Westen.
    WALLACE STEGNER,
»THE AMERICAN WEST AS LIVING SPACE«
      
      
    Carthage in South Dakota ist ein kleines, verschlafenes Nest mit 274 Einwohnern. Die Schindelhäuser mit den gepflegten Gärten und die verwitterten Backsteinfronten der Geschäfte ragen in zeitloser Einfachheit aus der unermeßlichen Weite der nördlichen Prärie der USA. Die Schatten von imposanten Pappelspalieren legen sich über ein kleines, numeriertes Straßennetz, durch das kaum je ein Auto fährt. In Carthage gibt es einen Lebensmittelladen, eine Bank, eine einzige Tankstelle und eine einsame Bar - das Cabaret, in dem Wayne Westerberg gerade an einem Cocktail nippt, an einer süßen Zigarre kaut und an den seltsamen jungen Mann namens Alex denkt.
    Die sperrholzverkleideten Wände des Cabaret sind mit Hirschgeweihen geschmückt, die zwischen alten Reklametafeln für Old - Milwaukee - Bier und kitschigen Ölgemälden von davonfliegendem Flugwild hängen. Rauchfäden schlängeln sich aus zusammensitzenden Farmergrüppchen hoch. Die Männer tragen Overalls und staubige Baseballmützen mit Firmenlogos. Ihre müden Gesichter sind so rußig wie die Gesichter von Bergbauarbeitern. Sie sprechen in kurzen, nüchternen Sätzen und beschweren sich über das launische Wetter und die Sonnenblumenfelder, die noch zu feucht zum Mähen sind, während Ross Perots spöttisch grinsende Visage über einen stummgeschalteten Bildschirm hoch über ihren Köpfen flimmert. In acht Tagen
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