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In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis
Autoren: Jon Krakauer
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gewesen.«
    Die toxischen Samen hatten McCandless schwer angeschlagen, und ihm wurde plötzlich klar, daß er viel zu geschwächt war, um zum Highway zurückzulaufen und sich zu retten. Er war nun sogar zu schwach, um richtig zu jagen, und wurde daher noch schwächer. Der Hungertod rückte näher und näher. Mit seiner Gesundheit ging es immer steiler bergab, und sein Leben zerrann ihm unter den Fingern.
    Für den 31. Juli und 1. August verzeichnet das Tagebuch keine Einträge. Am 2. August steht dort lediglich »ENTSETZLICHER WIND«. Der Herbst stand vor der Tür. Es wurde kälter, und die Tage wurden merklich kürzer: Jede Erdumdrehung bedeutete sieben Minuten weniger Tageslicht und sieben zusätzliche Minuten Kälte und Dunkelheit. Innerhalb einer einzigen Woche gewann die Nacht fast eine Stunde hinzu.
    »DER HUNDERTSTE TAG GESCHAFFT!« schrieb er am 5. August, außer sich vor Freude. Er war stolz, einen solchen Meilenstein erreicht zu haben. »Aber total geschwächt. Tod droht. Nicht mehr von der Hand zu weisen. Zu schwach, um hier wegzukommen. Sitze in der Falle. - Kein Wild.«
    Wäre McCandless in Besitz einer Geländekarte des Geologischen Vermessungsamtes gewesen, hätte er gewußt, daß sich am Oberlauf des Sushana River eine Forsthütte der Rangers befindet. Sie liegt sechs Meilen Luftlinie vom Bus entfernt, und vielleicht hätte er es bis dorthin sogar in seinem kritischen, geschwächten Zustand geschafft. Die Hütte liegt kurz hinter der Grenze zum Denali - Nationalpark und ist mit ein wenig Notfall - Nahrung, einer Schlafstelle und einem Vorrat an Erste - Hilfe - Medikamenten ausgestattet. Sie dient den Rangers im Winter auf langen Patrouillenfahrten zur Einkehr.
    Zwei Meilen näher am Bus liegen - auch wenn sie nicht auf der Karte eingezeichnet sind - zwei private Blockhütten. Die eine gehört den in Healy allgemein bekannten Hundeschlittenfahrern Will und Linda Forsberg, die andere einem Angestellten des Nationalparks, Steve Carwile. In den Hütten hätte sich ebenfalls Nahrung befinden müssen.
    McCandless' Rettung schien also, in anderen Worten, nur ein drei Stunden langer Marsch stromaufwärts zu sein. Diese traurige Ironie wurde nach seinem Tode immer wieder zur Sprache gebracht. Aber selbst wenn McCandless von diesen Hütten gewußt hätte, sie hätten ihn nicht vor dem Hungertod bewahrt: Irgendwann in der zweiten Aprilhälfte, als das Hundeschlitten und Schneemobilfahren wegen der einsetzenden Frühlingsschmelze immer beschwerlicher wurde und die Hütten nicht mehr benutzt wurden, brach ein Unbekannter in alle drei Hütten ein und demolierte sie. Die darin befindlichen Nahrungsmittel waren aufgebrochen worden, und was nicht von den Tieren weggefressen worden war, war nach einer Weile von selbst verdorben.
    Der Schaden wurde erst Ende Juni von Paul Atkinson, einem Zoologen, bemerkt. Atkinson hatte gerade vom Highway aus die Outer Range überquert, ein strapaziöser, zehn Meilen langer Trip durch unwegsamstes Gelände. Als er das gedankenlose Zerstörungswerk sah, war er wie vom Schlag getroffen. »Es war ganz eindeutig nicht das Werk eines Bären«, berichtet Atkinson. »Ich habe in meiner praktischen Arbeit sehr viel Umgang mit Bären und weiß, wie die Schäden aussehen, die sie anrichten. Dies sah so aus, als ob jemand mit einem Vorschlaghammer angerückt ist und alles, was ihm in die Quere kam, kurz und klein geschlagen hat. Die Matratzen waren hinausgeworfen und Berufkraut war hindurchgewachsen. An der Höhe des Krauts ließ sich klar erkennen, daß die Sache bereits vor vielen Wochen passiert sein mußte.«
    »Sie war total verwüstet«, sagt Will Forsberg von seiner Hütte. »Alles, was nicht niet und nagelfest war, war runtergerissen und in tausend Stücke zertrümmert worden. Sämtliche Lampen und fast alle Fenster waren kaputt. Das Bettzeug und die Matratzen waren nach draußen gezerrt und alle auf einen Haufen geworfen, Deckenplanken waren runtergerissen, Benzinkanister durchlöchert, und der Holzofen war rausgerissen - sogar ein großer Teppich war nach draußen geschleppt worden und ist verrottet. Und das ganze Essen war weg. Die Hütten hätten Alex also nicht viel genützt, selbst wenn er sie gefunden hätte. Aber vielleicht hat er sie ja gefunden.«
    Forsberg hält McCandless für den Hauptverdächtigen. Er glaubt, daß McCandless in der ersten Maiwoche, kurz nachdem er an dem Bus angekommen war, zufällig auf die Hütten stieß. Wutentbrannt darüber, daß die Zivilisation ihm
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