Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In die Wildnis

In die Wildnis

Titel: In die Wildnis
Autoren: Jon Krakauer
Vom Netzwerk:
der H. mackenzij zu verwechseln.
    Um auf einen dokumentierten Fall einer Gartenwicken-Vergiftung zu stoßen, mußte ich bis in die Annalen einer Arktis - Expedition des 19. Jahrhunderts zurückgehen. In den Tagebüchern von Sir John Richardson, einem berühmten schottischen Chirurgen, Naturschützer und Forschungsreisenden, wurde ich schließlich fündig. Er war bei Sir John Franklins unseligen ersten beiden Expeditionen dabei und hat beide heil überstanden. Er war es auch, der auf der ersten Expedition den des Mordes und Kannibalismus verdächtigten Mann per Pistolenkugel exekutierte. Richardson ist zufällig auch der Botaniker, der als erster eine Spezifizierung der H. mackenzij verfaßte und der Pflanze ihren botanischen Namen gab. Im Jahre 1848, als er auf der Suche des bereits vermißten Franklin eine Expedition durch die Kanadische Arktis leitete, zog er einen botanischen Vergleich zwischen der H. mackenzij und der H. alpinum. Die letztere, wie er in seinem Tagebuch festhielt, entwickelt lange, biegsame Wurzeln, die süß wie Lakritze schmecken. Während des Frühlings werden sie viel von den Eingeborenen gegessen. Wenn es wärmer wird, werden sie jedoch hölzern und büßen an Saftigkeit und Frische ein. Die Wurzel der mit weißlichen Härchen besetzten, rankenden und weniger zierlichen, aber mit größeren Blüten versehenen Hedysarum mackenzij ist giftig und hätte eine alte Indianer-Frau auf Fort Simpson, die sie mit der eingangs erwähnten Spezies verwechselt hatte, beinahe das Leben gekostet. Glücklicherweise stellte sie sich als emetisch heraus, und nachdem die Frau alles, was sie geschluckt hatte, erbrochen hatte, erfreute sie sich erneut bester Gesundheit. Ihre Genesung war jedoch lange Zeit fraglich.
    Die Vermutung drängte sich auf, daß McCandless den gleichen Fehler wie die Indianer - Frau begangen hatte und ähnlich darniederlag. Sämtliche Anhaltspunkte wiesen darauf hin, und es gab kaum Zweifel, daß McCandless - von Natur aus unbedacht und zu überstürzten Entschlüssen neigend - sich einen groben Schnitzer geleistet, eine Pflanze mit der anderen verwechselt hatte und daraufhin gestorben war. In dem Outside- Artikel vermeldete ich fest überzeugt, daß H. mackenzij dem Jungen zum Verhängnis geworden war. So ziemlich jeder andere Journalist, der über die McCandless - Tragödie schrieb, vertrat dieselbe Meinung.
    In den folgenden Monaten hatte ich jedoch Zeit und Muße, mich eingehender mit McCandless' Tod zu befassen, und je mehr ich darüber nachdachte, desto weniger überzeugte mich die allgemeine Übereinstimmung in dieser Frage. McCandless hatte vom 24. Juli an drei Wochen lang Dutzende von Wilden Kartoffelwurzeln gestochen und verspeist, und zwar ohne H. mackenzij mit H. alpinum zu verwechseln. Warum hätte er also vom 14. Juli an, als er damit begann, Samen anstatt Wurzeln zu sammeln, die beiden Spezies plötzlich durcheinanderbringen sollen?
    Immer mehr gelangte ich zu der Überzeugung, daß McCandless penibel darauf geachtet haben muß, nicht an die giftige H. mackenzij zu geraten, daß er weder die Samen noch irgendeinen anderen Teil der Pflanze verspeist haben konnte. Er zog sich tatsächlich eine Vergiftung zu, aber die Pflanze, die ihn das Leben kostete, war nicht die Gartenwicke. Das todbringende Agens war die Wilde Kartoffel, H. alpinum, also die Spezies, die in dem Pflanzenkundebuch unmißverständlich als ungiftig ausgewiesen wird.
    Das Buch informiert den Leser nur darüber, daß die Wurzeln der Wilden Kartoffel eßbar sind. Es steht nichts darüber drin, daß auch die Samen der Pflanze eßbar sind, noch daß sie toxisch wirken. Um McCandless gerecht zu werden, sollte hier fairerweise darauf hingewiesen werden, daß die Samen der H. alpinum in wissenschaftlichen Veröffentlichungen bisher noch nie als toxisch beschrieben wurden: Eine umfassende Durchsicht medizinischer und botanischer Fachliteratur ergab keinen einzigen Hinweis darauf, daß irgendein Bestandteil der H. alpinum toxisch wirkt.
    Die Familie der Hülsenfrüchtler (Leguminosae, zu der die H. alpinum gehört), ist jedoch reich an Arten, die Alkaloide produzieren - organische Basen, die bei Menschen und Tieren eine starke pharmakologische Wirkung entfalten. (Morphin, Koffein, Nikotin, Kurare, Strychnin und Meskalin sind alles Alkaloide.) Darüber hinaus befindet sich der Giftstoff in vielen alkaloid - produzierenden Arten ausschließlich in den Wurzeln und Endtrieben.
    »Ein Phänomen von Hülsenfrüchtlern ist«,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher