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In besten Kreisen

In besten Kreisen

Titel: In besten Kreisen
Autoren: Amanda Cross
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PROLOG
    D er ›Ulysses‹ von James Joyce ist – das weiß heute eigentlich jeder – ein dicker Roman, der einen einzigen Tag in Dublin beschreibt: den 16. Juni 1904. Am 16. Juni 1966, also genau zweiundsechzig Jahre später, machte sich Kate Fansler zu einem Treffen der James-Joyce-Gesellschaft auf, die alljährlich ihren »Bloomsday« beging.
    Kate nahm eine Haltung an, von der sie hoffte, sie sei Joyce und dem Anlaß angemessen, und ihr fiel ein, daß sie Gotham Book Mart, den Sitz der James-Joyce-Gesellschaft, fast genau zu der gleichen Tageszeit erreichen würde, zu der Leopold Bloom, der Held des ›Ulysses‹, den Sandymount Beach entlanggewandert war. »Und wenn ich nur einen Funken Verstand hätte«, dachte Kate, »dann wäre ich jetzt selber irgendwo am Strand.« Aber da sie Nachlaßverwalterin der Papiere Samuel Lingerwells geworden und auf diese Weise unverhofft Zugang zu der literarischen Korrespondenz von James Joyce bekommen hatte, hielt sie es nur für recht und billig, an der abendlichen Feier teilzunehmen.
    Der Gotham Book Mart liegt an der 47. Straße West in New York und empfängt die Mitglieder der James-Joyce-Gesellschaft in einem Hinterzimmer des Ladens. Kate war einigermaßen überrascht, wieviele Männer anwesend waren – nicht etwa nur berühmte Joyce-Forscher, sondern junge Männer von der Sorte, die man zuallerletzt bei Treffen von literarischen Gesellschaften erwartete. Aber der Grund dafür lag gar nicht so fern. Sie schrieben gerade an ihren Dissertationen über Joyce und hofften, hier einen geheimen, bislang unentdeckten Zugang zum Labyrinth seiner Werke zu finden, der ihnen akademische Ehren sichern würde. Schließlich war es Joyce neben seinen anderen magischen Kräften inzwischen gelungen, Wissenschaftlern in den Vereinigten Staaten zu akademischen Ehren zu verhelfen.
    Kate war kein Mitglied der James-Joyce-Gesellschaft, aber der Name von Samuel Lingerwell verschaffte ihr den Zugang und eine Begrüßung samt einem Glas jenes Schweizer Weines, den Joyce besonders gemocht hatte. Eines ist verdammt sicher, dachte Kate nach einer Weile, wenn ich mir einen Studenten höheren Semesters aussuche, der mir bei den Lingerwell-Papieren hilft, dann muß der möglichst wenig mit Joyce, Lawrence oder sonstigen modernen Schriftstellern am Hut haben. Jemand, der sich nicht der literarischen Hinterlassenschaft des lieben Sam annimmt, um seine eigene Karriere zu fördern. Eher ein Jane-Austen-Verehrer. Einer, der von ihr als »Jane« spricht. Ich werde Grace Knole bitten, mir einen geeigneten Kandidaten zu empfehlen.
    Womit erklärt wäre, wieso Emmet Crawford den Sommer in Araby verbrachte.

Die Pension
    »K ate«, sagte Reed Amhearst und fädelte seine langen Beine aus dem kleinen Wagen. »Um Himmelswillen, was machst du ausgerechnet hier? Falls du dich entschlossen hast, dich dem Landleben hinzugeben, dann solltest du so nett sein, mir das schonend beizubringen. Es war ein ziemlicher Schock, aus Europa zurückzukommen und festzustellen, daß du dich hier auf einem verlassenen Hügel in den Berkshires eingerichtet hast. Was ist mit der Kuh los?« Bevor Kate antworten konnte, kam eine rote Katze um die Hausecke gesaust, hitzig verfolgt von einem braunen Hund. »Die Fauna hat hier noch mehr zu bieten«, sagte Kate in, wie sie hoffte, versöhnlichem Ton. »Komm herein und erzähl mir alles über New Scotland Yard. Die Kuh brüllt nach ihrem Kalb.« »Hat sie es verloren?« »Man hat es ihr weggenommen; in ein, zwei Tagen hat sie es vergessen. Wie war es in England?« Reed folgte Kate in den riesigen Wohnraum mit gewölbter Decke, an dessen einem Ende ein paar Sessel um einen ausladenden Kamin gruppiert waren. Etwas, das ganz nach einer Bar aussah, stand daneben. Reed bewegte sich gerade gemessenen Schrittes auf den Kamin zu, als ein schmächtiger Junge eine Treppe, die Reed nicht bemerkt hatte, heruntergeschossen kam und in der Mitte des Raumes landete. Reed erwog die Möglichkeit, ihn wieder zurückzubefördern, und nahm widerstrebend Abstand davon.
    »Ich möchte wissen, ob du das beantworten kannst«, sagte das schmächtige männliche Geschöpf, ohne Reed zu beachten. »Was geht schneller, Verbluten oder Ersticken?« »Ersticken, würde ich annehmen«, riet Kate. Reed sah fasziniert zu.
    »Falsch, falsch, falsch. Ich habe gewußt, daß du das nicht weißt.
    Paß auf«, sagte der Junge und ließ an dieser Stelle merken, daß auch Reed davon profitieren könnte, »wenn ein Mensch ertrinkt und
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