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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben
Autoren: Maxime Chattam
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gab keine Zeugen, und niemand wusste, wie der Unfall zustande gekommen war, man sprach von überhöhter Geschwindigkeit in der Kurve. Das verwunderte den Jungen noch mehr. Er war schuld, und er wurde nicht bestraft. Eine Stunde später trug seine Mutter das Mittagessen auf. Eric hatte keinen Hunger. Beim Anblick des noch blutigen Bratens wurde ihm übel. Er sah aus wie das, was von dem Motorradfahrer übrig geblieben war. Die Mutter wurde ärgerlich und zwang Eric, seinen Teller leer zu essen. Bei jedem Bissen hatte er das Gefühl, ein Stück Fleisch von dem Mann hinunterzuschlucken. Das vergaß er nie.
    Es löste eine Art Obsession aus. Als er älter war, stellte er sich, wenn er jemanden traf, der ihm gefiel, jedes Mal vor, wie wohl sein Inneres aussah, und wie er schmeckte. Das dauerte bis April 1997, als ihn der FBI-Agent Harry Morris aufsuchte, um im Moor-Mörder-Fall zu ermitteln. Später schrieb Eric Murdoch, es sei ein Zeichen des Schicksals gewesen. Der Unfall’ hatte seine krankhafte Neigung ausgelöst.
    Dann traf er Bob Fairziak, und beide zogen nach New Jersey, wo sie nur wenige Kilometer voneinander entfernt wohnten. Bald darauf kam Bob wegen Einbruchs bei einer Frau – die glücklicherweise nicht zu Hause gewesen war – für kurze Zeit ins Gefängnis. Als er verhaftet wurde, hatte er einer Nackenrolle die Kleider der Frau übergestreift und schlief an sie geschmiegt.
    Er blieb nur wenige Monate hinter Gittern, gerade lange genug, um sich mit Lucas Shapiro anzufreunden. Der erzählte ihm vom Hof der Wunder, wo er sich mit Vergewaltigungsvideos, die ihm als Stimulation dienten, eindeckte. Damit begann die Partnerschaft. Bob als vermeintlicher Kopf und im Hintergrund Eric Murdoch, der die Fäden zog. Bob war manipulierbar, innerhalb kürzester Zeit gehorchte er dem Sheriff bedingungslos. Wie Brolin erklärt hatte, bestehen die meisten »Duos« aus einem Beherrschenden und einem Beherrschten. Murdoch konnte sich Bobs Vasallentreue sicher sein, und er ließ ihn große Risiken eingehen, unter anderem bediente er sich seiner Schrift, um ihn gegebenenfalls belasten zu können.
    Die vier »Jäger« – dazu zählte auch Spencer Lynch – halfen sich gegenseitig. Murdoch entwickelte die optimale Entführungsstrategie, die durch Bob weitergegeben wurde, das heißt: den Tagesablauf des Opfers ausspionieren und bei ungünstigen Wetterverhältnissen zuschlagen. Nachdem sich jeder auf seine Art mit den Opfern amüsiert hatte, wurde ein Teil des Fleisches verspeist, der Rest verkauft. Bob selbst hatte Shapiro dazu überredet, von dem verbotenen Fleisch zu kosten, was für den Metzger zum Symbol der Allmacht wurde, so dass er manchmal seine Zähne in den Körper der Frau schlug, die er gerade vergewaltigte.
    Auch der »Friedhof« war Murdochs Idee gewesen – jener abgelegene Waggon, den niemand hätte finden dürfen, der sie zu Mördern ohne Leiche hätte machen sollen, also unsichtbar. Um sich zu brüsten und gegenseitig zu überbieten, tauschten sie Fotos ihrer Opfer aus, so wie man Freunden ein Polaroid von seiner Freundin oder seinem neuen Auto zeigt.
    Die Fäden zog Eric Murdoch, alias Caliban – das Einzige, was man von ihm wusste, stand in jenem kleinen abgegriffenen Notizbuch. Dank der darin enthaltenen Aufzeichnungen kam das FBI zu dem Schluss, dass Eric Murdoch als Kind ein Trauma durchgemacht hatte und dass seine kriminelle Pathologie das Ergebnis einer langen Kette von Enttäuschungen war. Dasselbe galt für Bob Fairziak, Lucas Shapiro und Spencer Lynch. Auch in ihrem Leben fand man Dutzende von Gründen für ihre Instabilität.
    Die Erklärungen, die Caliban gegenüber Annabel O’Donnel abgegeben hatte, feinden nirgendwo Erwähnung.

    Als Annabel zu Protokoll gab, was Caliban ihr anvertraut hatte, fügte sie hinzu, er habe gestanden, Lucas Shapiro in einem Wutanfall ermordet zu haben. Die Tatwaffe wurde nicht gefunden. Glücklicherweise hatte der Privatdetektiv Murdoch mit Annabels Beretta erschossen. Während sie geschickt log, dachte die junge Frau an Brolin, an seine Ausstrahlung. Dabei hatte er sie um nichts gebeten und erfuhr erst viel später davon.
    Außer der Familie Springs, die man bei Bob gefunden hatte, hatten fünf weitere Personen überlebt, darunter drei Kinder. Die jüngste, Carly, gab kein Wort von sich – nicht einmal, als sie im Krankenhaus ihre Eltern wiedersah. Rachel Faulet wurde auf die Intensivstation verlegt, sie hatte viel Blut verloren. Sie kam durch, weil sie den Willen
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