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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben
Autoren: Maxime Chattam
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nicht selten seine Ware mit etwas anderem als Rind- oder Kalbfleisch streckte … Wer sagt Ihnen denn, dass Sie und viele andere nicht schon längst Menschenfleisch auf ihrem Teller liegen hatten … Der Vorteil beim Menschen ist, dass sich alles verwerten lässt!«
    Nun war er in seinen Ausführungen weit genug gegangen, sie musste innerlich bereits schreien. Jetzt konnte er zur Tat schreiten.
    Seine Stimme wurde gleichzeitig sanft und unerbittlich. Er spielte nicht mehr.
    »Rechts neben Ihnen liegt eine Schachtel mit Streichhölzern, nehmen Sie sie!«
    Annabel hatte Mühe, ihn zu verstehen. Sie stand unter Schock, trotzdem hatte sie den veränderten Tonfall seiner Stimme wahrgenommen. Sie zitterte. Sie musste hier raus, bevor sie den Verstand verlor. Calibans Lachen war ihr durch Mark und Bein gegangen. Sie hatte die Ironie darin herausgehört und malte sich jetzt das Schlimmste aus. Sie wollte sich den Mund, das Gedächtnis, die ganze Seele reinwaschen.
    »Genau rechts von Ihnen. Los, strecken Sie schon den Arm aus.«
    Sie wollte nicht länger im Dunkeln sein, sie ertrug es nicht mehr. Annabel tastete suchend nach rechts und fand die Schachtel. Ein leises Rascheln war um sie herum zu hören, als sie sie öffnete.
    »Annabel … all die Leute, die ich entführt habe … Sie … sie sind nicht tot, Annabel. Sie sind bei Ihnen. In diesem Augenblick. Um sie herum. Dank meiner werdet ihr für immer zusammen sein. Alle zusammen …«
    Die junge Frau war mit den Nerven am Ende, sie verstand nicht, dass es sich um eine Warnung handelte. Alles, wonach sie sich in diesem Moment sehnte, war ein wenig Licht, ein wenig Wärme und danach, von hier wegzukommen.
    Sie zündete ein Streichholz an.
    Der Geruch von Schwefel breitete sich mit der kleinen Rauchwolke aus.
    Die Finsternis wich für einen Augenblick zurück, um dem Grauen Platz zu machen.
    Annabel blickte um sich, als die Flamme größer wurde.
    Sie befand sich in einem kreisrunden Raum, der eng und niedrig war.
    Alle kamen zum Vorschein.
    Zu Dutzenden.
    Männer, Frauen, Kinder. Sie waren alle, fast alle da.
    Die Wände waren überzogen mit der Haut ihrer Gesichter, es gab nicht das kleinste freie Fleckchen Erde oder Stein, jeder Winkel war bedeckt von gespannter Haut, gedehnten Lippen und flatternden Augenlidern. Sie war von einem menschlichen Patchwork umgeben.
    Annabel begann zu zittern, die Flamme wurde kleiner.
    In dem Moment bemerkte sie ein Gesicht, das anders war. Rundlich, dort, wo all die anderen flach waren. Bleicher und weniger wächsern, weniger transparent. Die Lippen waren nicht blassviolett, sondern dunkel und feucht. Sie erkannte es – das Gesicht von Rachel Faulet.
    Annabel näherte sich.
    Und die Augen öffneten sich.
    Augen, erfüllt von blankem Entsetzen.
    Annabel ließ das Streichholz fallen, und Finsternis senkte sich gierig über die Gruft.

74
    In der Kurve wirbelten die Reifen Garben von Schnee auf. Brolin hatte das Ortsschild von Phillipsburg passiert. Das ehemalige Museum lag am Ortseingang, am Ende einer unbefestigten Straße. Brolin verringerte das Tempo und bog in den Weg ein. Gleich würde er feststellen, ob die Karte, die er im Internet gefunden hatte, auch wirklich stimmte.
    Hinter einer baufälligen Brücke blieb der Wagen im Schnee stecken. Brolin sah, dass es hoffnungslos war, und stieg aus. Der eisige Wind, der durch die Nussbäume pfiff, wirbelte die Schneeflocken so heftig umher, dass sie nicht zu Boden fallen konnten. Er rannte los, an einem entwurzelten Baum vorbei, bis zum Fuß eines Hügels. Das Haus sah genauso verfallen aus wie auf dem Foto im Internet. Im Dunkeln glichen die Fenster schwarzen Augenhöhlen.
    Brolin zog seine Waffe und lief zur Veranda, um einen vorsichtigen Blick durch die Scheiben zu werfen. Drinnen war nichts zu erkennen. Keine Spur von Leben.
    Vielleicht ist es zu spät, flüsterte ihm eine innere Stimme zu.
    Oder sie waren nicht hier. Er hatte nicht genau verstanden, was Annabel gesagt hatte. Doch, sie sind da, in den Gängen unter dem Haus, in denen früher die Turbinen für die Schiffsrampe untergebracht waren.
    Er drückte die Türklinke hinunter. Abgeschlossen. Er wollte schon seinen Dietrich aus der Tasche ziehen, besann sich dann aber anders. Das war nicht der Zeitpunkt, um sich mit solchen Dingen aufzuhalten. Brolin schätzte die Stabilität der alten Holztür ab und warf sich dagegen. Knarrend und splitternd sprang sie auf.
    Die Glock vor sich ausgestreckt, drang er in das Gebäude ein. Wie
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