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Imperium

Imperium

Titel: Imperium
Autoren: Christian Kracht
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Er beugte sich herunter, um das Männchen an der Schulter zu berühren und ihm mitzuteilen, er brauche sich doch bitte seinetwegen nicht so zu beeilen, aber dieser verstand ihn nicht und beschleunigte noch seinen Lauf, weswegen er, schlußendlich an der Vorfahrt des Grand Hotels angekommen, schweißüberströmt und japsend neben der Rikscha zusammenbrach.
    Der uniformierte Portier, ein stattlicher Sikh mit prächtigem weißem Bart, kam herbeigerannt, überzog den armen Rikscha-Wallah mit vorwurfsvollen Flüchen, nahm unter Dutzenden von Entschuldigungen Engelhardt das Handgepäck ab und bugsierte, dem auf der Straße liegenden, keuchenden Alten dabei eine Münze vor die Füße werfend, unseren Freund in die kühle und kavernenhafte Empfangshalle, um dort mit routinierter Bewegung die flache Hand auf eine kleine silberne Klingelglocke zu schlagen, die man just für diesen Zweck auf dem Empfangstresen befestigt hatte.
    Engelhardt schlief lange und traumlos in einem großen, weißen Zimmer. Ein moderner elektrischer Ventilator summte an der Decke über ihm; ab und an zischte irgendwo im Räume ein Salamander sein meckerndes Locklied und schob dann seine Zunge Richtung Mücke, der er sich lauernd millimeterweise genähert hatte. Gegen vier Uhr morgens klapperten die Fensterläden, ein Wind kam auf, und es regnete eine Stunde lang. Engelhardt aber hörte nichts davon, in zutiefst entspannter Rückenlage schlummerte er auf den frisch gestärkten Laken, die Hände auf der Brust gefaltet. Sein langes Haar, vor dem Schlafengehen vom praktischen Haargummi befreit, welches es bei Tag am Hinterkopfe zusammenhielt, umspielte dunkelblond und wellend das auf dem weißen Kissen ruhende Haupt, als sei er Wagners schlafender Jung Siegfried.
    Anderntags, im Abteil des überaus langsam fahrenden Zuges nach Kandy dann, unterwegs zur alten Königsstadt Ceylons, hatte ihm ein tamilischer Gentleman gegenüber gesessen, dessen blauschwarze Haut in seltsamem Kontrast zu den schlohweißen Haarbüscheln stand, die ihm dergestalt aus den Ohren ragten, als seien sie links und rechts an seinem Kopf befestigte, wollige Blumenkohlröschen. Es ging mit einschläfernd langsamer Fahrt durch schattige Kokoshaine und smaragdene Reisfelder. Der Herr trug schwarzen Anzug und einen hohen weißen Kragen, der ihm die Würde eines Richters oder eines Staatsadvokaten verlieh. Engelhardt las in einem vergnüglichen Buch (Dickens), während vor dem Fenster eine Spitzkehre nach der anderen überwunden wurde und die Sicht weit hinaus über sanft ansteigende Teefelder ging - Tee, der in begehbaren Furchen wuchs, aus denen bunt bekleidete, dunkelhäutige Pflückerinnen herausragten, den grün gefüllten Sammelkorb auf dem Rücken.
    Schon hatte der Herr ihn fragend angesprochen, und Engelhardt, die eben gelesene Seite seines Buches mittels feuchtem Daumen und Zeigefinger festhaltend, bat höflich, die Frage zu wiederholen, da das Angelsächsische des Herrn in Melodie undTonalität derart fremd zur Betonung kam, daß Engelhardt wohl einen Australier, selbst einen Texaner noch gut verstanden hätte, diesen ehrwürdigen Tamilen aber fast gar nicht. Während der Staub des Nachmittags auf Sonnenstrahlen durch das offene Zugfenster tanzte, sprachen sie so gut es eben ging - man hatte sich geeinigt, das beiderseitig nur als Mittlersprache verwendete Idiom bedächtig und langsam zu gebrauchen - über die Reliquien des Heiligen Lord Buddha und speziell, denn schon bald steuerte Engelhardt die Konversation dorthin, über die Kokosnuß.
    Der Gentleman erklärte mit sanften Gesten, er sei als Tamile zwar dem Hinduismus verpflichtet, doch laut dem geweihten Text der Bhagavata Purana sei der Buddha einer der Avatare Vishnus, der vierundzwanzigste, um es genau zu sagen, und deshalb sei er - und rasch stellte er sich mit einem Händedruck, den Engelhardt als angenehm trocken und fest empfand, als Herr K. V. Govindarajan vor - auf dem Weg nach Kandy, um sich den Zahn des Buddhas zu besehen, der dort in einem Tempelschrein verehrt werde. Es handele sich bei der Reliquie um den dens caninus, den links oben gelegenen Eckzahn. Govindarajan zog anmutig mit der Spitze seines dunklen Ringfingers eine Lefze hoch und demonstrierte anschaulich die Verortung des fraglichen Zahnes; Engelhardt sah in das knochenweiße Gebiß, welches in einem kerngesunden, rosaroten Zahnfleisch steckte, und erschauerte innerlich vor Wohligkeit. Die einfachen, langsamen und doch anrührend pathetischen
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