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Imperium

Imperium

Titel: Imperium
Autoren: Christian Kracht
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segeln lassen und ihm die Flausen der Weißen gehörig aus der Seele pusten, aus einer Laune bei der Neuseeländischen Kriegsmarine. November, der ihn begleitet hatte, wird bei einem Orkan über Bord gefegt. Er sinkt mit offenen Augen kilometerweit hinab in den ruhigen nachtblauen Kosmos der See. Viele Jahrzehnte später wird Apirana der erste Maori im Neuseeländischen Parlament sein, er stirbt Mitte des Jahrhunderts, allerorten geehrt und im Zustand einer über die allermeisten Zweifel erhabenen Würde, als Sir Apirana Turupa Ngata.
    Die beiden Gauner Govindarajan und Mittenzwey werden, nachdem sie sich eine ganze Weile äußerst ertragreich im Falschspiel um den Pazifik herum gemogelt haben, auf Samoa verhaftet und mit einem Gefangenentransport in Ketten Richtung Australien verschifft, dieser wird unterwegs von einem deutschen Kreuzer torpediert und versinkt mit Mann und Maus in den Fluten des Stillen Ozeans.
    Albert Hahl kehrt zurück in ein winterliches, verstummtes, vom Krieg nicht mehr ganz so euphorisiertes Berlin und schreibt dort zehn Jahre lang - seinen mit Apercus, diversen Entdeckungen, philosophischen Betrachtungen und Erfindungen gefüllten Zettelkasten als probate Referenz verwendend - an seinen Memoiren, die in Ermangelung eines interessierten Verlages unveröffentlicht bleiben. Der von Hahl envisionierte Hubschrauber schließlich, den er einst in einem lichten, blumenbeschmückten Kaiserreich am Meer erträumt, als er den Schwebeflug des Kolibris beobachtet, wird erst viel später, im nächsten Kriege entwickelt werden, so wie die meisten fabelhaften Erfindungen der Menschheit Produkte ihrer Fehden sind. Vom Reichskolonialamt mit einer halbherzigen Apanage bedacht, widmet er sich zusehends dem Privatgelehrtentum. Die Politik verdrießt ihn, er schreibt die langen Briefe eines alternden Mannes, der nicht mehr im Mittelpunkt steht. Auch der Philosoph Edmund Husserl erhält Post von Albert Hahl, eine dicht beschriebene, achtzigseitige Epistel, in der ausgeführt wird, wir Menschen würden in einer Art hochkomplexem Kinofilm oder Theaterstück leben, aber nichts davon ahnen, da die Illusion vom Regisseur so perfekt inszeniert sei. Die Schrift wird von Husserl halb überflogen, als kindisch abgetan und nicht mit einer Antwort beehrt. Hahl schließt sich nun - seine Haare sind längst ergraut, als der Sonnenkreuzler des Deutschen Volkes zur viehischen Unerträglichkeit wird - mit der Ehefrau Wilhelm Solfs, des einstigen Gouverneurs von Deutsch Samoa, und anderen zu einer Widerstandsgruppe zusammen, deren bestialisches Ende am mit Klavierdraht versehenen Galgen des Imperiums Hahl nicht mehr erleben wird.
    Emma Forsayth-Lützow stirbt in Monte Carlo am Spieltisch des dortigen Casinos, nachdem sie ihren letzten Zehntausend-Francs-Jeton auf die Farbe Rot gesetzt hat. Es erscheint die schwarze 35. Sie sackt wortlos im Stuhl zusammen, zwei behandschuhte Casinoangestellte beeilen sich, ihr Luft zuzufächeln, ein Dritter bringt ein Glas Cognac, das in der Aufregung verschüttet wird und auf dem flaschengrünen Fries des Spieltisches einen dunklen Fleck hinterläßt, der anderntags nichts mehr zu sehen sein wird. Die Societe des bains de mer de Monaco errichtet ihr einen Grabstein, auf dem Emma, Reine des Mers du Sud zu lesen ist. Heute ist die Inschrift verwittert, aber durchaus noch zu entziffern.
     
    XV
     
    Und unser mehr als verwirrter Freund, unser Sorgenkind? Tatsächlich taucht er noch einmal auf; kurz nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges entdecken amerikanische Marineeinheiten in den Solomoneninseln, auf dem durch die Kämpfe verwüsteten Eiland Kolombangara, unweit der abgeflachten Spitze eines rauchenden Vulkans, einen in einer Erdhöhle lebenden, uralten weißen Mann, dem beide Daumen fehlen. Er scheint sich ausschließlich von Nüssen, Gräsern und Käfern ernährt zu haben. Eine junge Ärztin der U. S. Navy untersucht den zum Skelett abgemagerten, dennoch sonderbar kräftigen Alten und stellt mit großer Verwunderung fest, daß er jahrzehntelang an einer multibazillären Form der Lepra gelitten habe, diese aber wie durch ein Wunder völlig verheilt sei.
    Der bärtige, langhaarige Greis wird auf eine unübersichtlich große Militärbasis auf der den Japanern abgerungenen Insel Guadalcanal verbracht und herumgeführt. Er sieht staunend allerorten sympathische schwarze GIs, deren Zähne, im Gegensatz zu seinem eigenen, ruinös verfaulten Trümmerhaufen eines Gebisses, mit einer unwirklichen
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