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Imperium

Imperium

Titel: Imperium
Autoren: Christian Kracht
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höchstwahrscheinlich, anämisch offensichtlich, lebensuntauglich. Aber doch im Grunde uninteressant. Und vor allem müßig, weiter darüber nachzudenken. Man gab ihm im Geiste ein Jahr im Pazifik, schüttelte den Kopf, schloß die spaltbreit geöffneten Augenlider und schlief, Unverständliches murmelnd, wieder ein.
    Das laut vernehmliche, knarrende Schnarchen begleitete das deutsche Schiff an den amerikanischen Philippinen vorbei, durch die Straße von Luzon (man fuhr Manila nicht an, denn es herrschte Unsicherheit, ob der Krieg, der die Kolonie erfaßt hatte, sich noch zum Guten wenden würde), durch die Gewässer des unendlich groß erscheinenden Territoriums Niederländisch-Indiens und schließlich ins Schutzgebiet selbst.
    Nein, wie er sie verabscheute. Nein, nein und nochmals nein. Engelhardt schlug Schlickeysens Standardwerk Obst und Brot auf und zu und wieder auf, versuchte vergebens, einige Absätze zu lesen, und machte sich am Rande einer Seite mittels eines Bleistiftstummels, den er stets in der Gewandtasche bei sich führte, einige Notizen, die er selbst, kaum hatte er sie geschrieben, schon nicht mehr entziffern konnte.
    Das Schiff schlingerte ruhig unter wolkenlosem Himmel dahin. Einmal sah Engelhardt in der Ferne ein Rudel Delphine, doch kaum hatte er sich vom Schiffsmeister ein Fernglas geliehen, waren sie schon wieder abgetaucht in die unergründlichen Tiefen der See. Bald war das schmucke Eiland von Palau erreicht, die Postsäcke übergeben und wieder verlassen. Beim nächsten kurzen Halt, in Yap, näherten sich zögerlich einige Auslegerkanus dem großen Schiff, es wurden Schweinehälften und Yamswurzeln zum Kauf angeboten, aber weder die Passagiere noch die Besatzung zeigten auch nur das geringste Interesse an den feilgebotenen Waren, beim Abdrehen indes wurde ein Kanu vom Strudel der Schrauben erfaßt und gegen die Bordwand gedrückt. Der Insulaner rettete sich durch einen Sprung ins Meer, das Kanu aber zerbarst in zwei Teile, und die Eßwaren, eben noch von braunen Händen zum Himmel emporgehalten, schlingerten nun im schäumenden Wasser, und Engelhardt, der, Schlickeysens Buch mit einer Hand umklammernd, sich weit hinaus über die Brüstung lehnte und hinunter sah, erschauerte ob des Anblicks einer Schweinehälfte, die, zuerst schwimmend, an der Seite noch mit blutigen Sehnen behangen, dann langsam hinab in die indigoblaue Tiefe des Ozeans sank.
    Die Prinz Waldemar war ein rüstiger, moderner Dampfer von dreitausend Tonnen, der, alle zwölf Wochen von Hong Kong kommend, den Stillen Ozean Richtung Sydney durchquerte und dabei das Deutsche Schutzgebiet, namentlich Neupommern, anfuhr, dort die Gazellen-Halbinsel, die neue, in der Blanchebucht gelegene Hauptstadt Herbertshöhe (und daselbst einen seiner beiden Anlegekais), deren gut befahrbares Becken aus einer optimistischen Laune heraus als Hafen bezeichnet wurde.
    Herbertshöhe war nicht Singapore, es bestand im wesentlichen aus jenen zwei Holzanlegern, ein paar sich kreuzenden, breiten Alleen, an denen, je nach Betrachtungsweise als imposant oder weniger anzusehen, die Faktoreien von Forsayth, von Hernsheim&Co und Burns Philp errichtet worden waren. Dann gab es noch ein größeres Gebäude, jenes der in Yap und auf Palau mit Guano handelnden Jaluit-Gesellschaft, eine Polizeistation, eine Kirche mitsamt ihrem überaus pittoresken Friedhof, das Hotel Fürst Bismarck, das konkurrierende Hotel Deutscher Hof, eine Hafenmeisterei, zwei oder drei Tavernen, ein nicht der Rede wertes Chinatown, einen Deutschen Klub, eine kleine Klinik unter der fürsorglichen Aufsicht der Doktoren Wind und Hagen und den Gouverneurssitz, leicht erhöht über der Stadt auf einem mit am Nachmittage unwirklich leuchtendem, grünem Gras bewachsenen Hügel gelegen. Aber es war eine aufstrebende, deutsche, ordentliche Stadt, und sagte man dazu Nest, so nur im Spott, oder wenn es derart Bindfäden regnete, daß dreißig Fuß vor der Nase schon nichts mehr zu erkennen war.
    Nach den Regengüssen zu Mittag erschien stets die Sonne, pünktlich um drei, und herrlich farbenfrohe Vögel stolzierten im Chiaroscuro des langen Grases umher und putzten sich das tropfende Gefieder. Dann tummelten sich in den Pfützen der Alleen, unter den hoch aufragenden Kokospalmen die Kanakenkinder, barfuß, nackend, manch eines in kurzen, zerrissenen Hosen (die mehr aus Loch bestanden als aus Stoff), auf den Häuptern wolliges, aus einer lustigen Laune der Natur heraus blondes Haar. Sie nannten
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