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Imperium

Imperium

Titel: Imperium
Autoren: Christian Kracht
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aufgehört, wie es begonnen hatte. Er stand nicht sicher, er lehnte etwas gebeugt an der Kabinenwand, seine Wange streifte sanft das Gazetuch der Gardine, in der Tasche seines Gewandes umschloß er mit den Fingern der rechten Hand seinen Bleistiftstummel, die Sonne schien mit fürchterlicher Kraft durchs Bullauge. Als das feine Tuch der Gardine ihn erneut berührte, begann er zu weinen, es durchzuckte ihn, seine Knie zitterten, ihm war, als habe man ihm mittels einer Apparatur sämtliche Courage aus seinen Knochen herausgesaugt, und nun bräche das Gerüst zusammen, welches vormals nur durch den Kitt des Mutes zusammengehalten war.
     
    II
     
    In Port Said, vor einer halben Ewigkeit (die in Wirklichkeit nur wenige Wochen gedauert hatte), als man fälschlicherweise seine elf Überseekisten mit den eintausendzweihundert Büchern ausgeladen hatte und er sie auf Nimmerwiedersehen verschwunden wähnte, hatte er das letzte Mal geweint, ein, zwei fast salzlose Tränen, aus Verzweiflung und aus dem dumpfen Empfinden, ihn verlasse nun zum ersten Male wirklich der Mut. Nachdem er, vergeblich den Hafenmeister suchend, die Zeit genutzt hatte, um einen noch im Mittelmeer geschriebenen, an einen guten Frankfurter Freund gerichteten Brief auf die Post zu geben, den er, um ihn vor Feuchtigkeit zu schützen, in ein Baumwolltuch gewickelt hatte, trank er bei Simon Arzt auf der Terrasse anderthalb Stunden lang ungesüßten Pfefferminztee, während ein stummer Nubier mit einer weißen Serviette Gläser abtrocknete, in denen sich der Kanal im blendenden Wüstenlicht schimmernd brach.
    Der ganze Thoreau,Tolstoi, Stirner, Lamarck, Hobbes, auch Swedenborg, die Blavatsky und die Theosophen, alles weg, alles fort. Ach, vielleicht war es besser so, das ganze unnütze Denken futsch, anderswohin verschifft. Aber er hing so daran! Mißmutig machte er sich erneut auf den Weg zur Mole und seinem Schiff nach Ceylon. Es kam ihm der Einfall, man müsse unter den Hafenarbeitern einige Piaster verteilen, also grub Engelhardt in seinen Kitteltaschen und sprach einen Seemann an, dessen Herkunft (Grieche? Portugiese? Mexikaner? Armenier?) aufgrund einer bedauerlichen, halbseitigen Gesichtslähmung durch Taxierung seiner Physiognomie allein nicht zu entschlüsseln war. Er gab ihm das Geld, hörte den Mann schmatzend die Scheine zusammenfalten. Aber, aber, bitte sehr, Effendi, da waren doch seine Bücher! Man entschuldigte sich bei ihm und lud die Kisten ohne große Umstände wieder an Bord, es sei ein Mißverständnis, man habe einen dummen Fehler begangen und Herbertshöhe anderswo vermutet, an der Küste Deutsch-Ostafrikas. Engelhardts Brief an den Freund aber, in dem von Europavergiftung und dem Garten Eden die Rede war, fand sich, nicht ausreichend frankiert, in der Amtsstube der französischen Post von Port Said wieder und kam dort auch zu liegen und schließlich ganz zu ruhen. In einem Rezeptakel für solcherlei Kuverts unter einem Tisch verstaubte er und wurde von anderen Briefen zugedeckt und nach vielen Jahren, in deren Verlauf ein, zwei Weltkriege durchmessen wurden, von einem koptischen Altpapierhändler in stattliche Pakete gebündelt und geschnürt, auf einem Eselskarren zu einer armseligen Hütte hinaus an den Rand der Wüste Sinai kutschiert, was Engelhardt aber, dessen Schiff am Abend noch mitsamt ihm und seinen Bücherkisten Richtung Ceylon auslief, niemals erfahren sollte.
    In Colombo gab es gleich zwei herrschaftliche Grand Hotels - das an einem großen Maidan gelegene Galle Face und das etwas außerhalb und südlich der Stadt auf einem Hügel erbaute Mount Lavinia. Engelhardt, der sonst gewiß eine eher bescheidene Unterkunft angesteuert hätte, war zu der Überlegung gekommen, sich in Ceylon einmal etwas zu gönnen, und bestieg eine Rikscha, nachdem er einem uniformierten Boy mehrere Annas gegeben hatte, damit dieser sich um Verbleib und Bewachung seines Gepäcks kümmere, das abermals vom Schiff entladen und am Hafen gelagert werden mußte. Er machte es sich auf der außerordentlich breiten Sitzbank gemütlich und wollte sich in aller Ruhe zum Galle Face Hotel fahren lassen. Aber es ging zu schnell! Die nackten Füße des kleinen alten Ceylonesen klatschten lautmalerisch und monoton auf der Straße vor und unter ihm; Engelhardt überlegte, ob der Rikscha-Wallah wohl so schnell rannte, weil der Asphalt so heiß war, oder ob die Geschwindigkeit sozusagen Teil der Erwartungshaltung der Fahrgäste war, die rasch zum Ziele kommen wollten.
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